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Streikrecht der Vertragsärzte: Der Kampf geht weiter

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Dr. Werner Baumgärtner, Vorsitzender von Medi Geno Deutschland und Medi Baden-Württemberg. Dr. Werner Baumgärtner, Vorsitzender von Medi Geno Deutschland und Medi Baden-Württemberg. © Medi/fotolia/mojolo
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Nicht überrascht, aber enttäuscht, hat Dr. Werner Baumgärtner das Urteil des Bundessozialgerichts vernommen: Die zwei als „Warnstreik“ titulierten, eintägigen Praxisschließungen des Stuttgarter Allgemeinarztes und einiger Kollegen 2012 waren unzulässig. Solche Kampfmaßnahmen seien mit dem Vertragsarztrecht unvereinbar; das sei verfassungsgemäß geregelt. Letzteres will Dr. Baumgärtner vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen.

Dr. Baumgärtner freute sich zwar, dass der Vorsitzende Richter des 6. BSG-Senats Interesse an der grundsätzlichen Frage zeigte, ob Selbstständige und Freiberufler ein Streikrecht haben, wie es das Grundgesetz (Artikel 9 Absatz 3) eigentlich jedermann einräumt.

Doch schlussendlich entschied das höchste deutsche Sozialgericht wieder „systemerhaltend“: Vertragsärzte sind weder aufgrund der Verfassung noch der Europäischen Menschenrechtskonvention berechtigt, ihre Praxis während der Sprechstundenzeiten zu schließen, um an einem Warnstreik – im konkreten Fall: aus Protest gegen das aktuelle Honorarsystem – teilzunehmen.

Begründung: Die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung ist Sache der Kassenärztlichen Vereinigungen als Körperschaften des öffentlichen Rechts. In diesen Auftrag ist der einzelne Vertragsarzt aufgrund seiner Kassenzulassung und KV-Mitgliedschaft eingebunden. Konflikte mit Krankenkassen um die Höhe der Gesamtvergütung werden in diesem System nicht durch Streik oder Aussperrung ausgetragen, sondern durch verbindliche Entscheidungen von Schiedsämtern gelöst, die sich ggf. durch Gerichte überprüfen lassen.

Vier Wochen nach Urteilsverkündung hat Dr. Baumgärtner Zeit, zu entscheiden, ob er das Urteil akzeptiert. Doch schon unmittelbar nach der Verhandlung sagte er Medical Tribune, dass er eine verfassungsrechtliche Beurteilung des Streikrechts beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anstrebt.

Der Medi-Chef marschiert als stellvertretend für die Kollegen durch die Instanzen. Auch der vom Disziplinarausschuss der KV Baden-Württemberg verfügte Verweis, den Dr. Baumgärtner für seine Präsenzpflichtverletzung kassierte (die Notfallversorgung war während der Praxisschließungen sichergestellt), gehört zum Plan. Denn auch der KV-Vorstand hat ein Interesse, dass die schon lange brennende Streikrechtsfrage juristisch geklärt wird.

Er habe innerlich schmunzeln müssen, erzählte Dr. Baumgärtner nach der Verhandlung, als dort Sätze fielen wie „Die Vertragsärzte sind unabhängig“ oder dass sie den großen Vorteil hätten, dass gesetzliche Krankenkassen und die KV nicht insolvent gehen könnten.

Der Medi-Chef erwidert: Auch wenn das BSG argumentiere, dass Konflikte zwischen KVen und Kassen durch die bestehenden Regeln zu lösen seien, bedeute das nicht, dass die betroffenen Ärzte mit diesen Lösungen einverstanden seien. Dr. Baumgärtner erinnerte hier an die unerfüllte Forderung der „festen Preise“ für ärztliche Leistungen.

„Froh“ äußerte sich der Stuttgarter Hausarzt darüber, dass das BSG mit eigenen Medieninformationen (u.a. dem „Termintipp“) für große öffentliche Aufmerksamkeit bei dem Thema sorgte.

BSG-Urteil vom 30. November 2016, Az.: B 6 KA 38/15 R

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