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CRISPR/Cas9-System bietet fantastische Möglichkeiten, aber auch Risiken

Autor: Michael Brendler/Dr. Susanne Gallus

CRISPR/Cas9 ist seit seiner Einführung zu einem Standard in vielen Laboren geworden. CRISPR/Cas9 ist seit seiner Einführung zu einem Standard in vielen Laboren geworden. © iStock/Bill Oxford
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2018 verkündete der Chinese He Jiankui, er hätte Kinder genetisch so verändert, dass sie immun gegen HIV sind. Angesichts des ungeheuren Potenzials der dafür verwendeten CRISPR/Cas9-Genschere stellt sich die Frage, was das für die Zukunft der Medizin bedeutet.

Techniken zur Veränderung des Erbguts gibt es einige, doch die Genschere CRISPR/Cas9 macht die Genchirurgie in einer bisher ungekannten Qualität möglich. Und das theoretisch bei jedem Lebewesen. DNA-Sequenzen werden präzise verändert, ganze Gene ausgeschaltet, genetische Defekte „korrigiert“ bzw. simuliert. So können Forscher beispielsweise innerhalb weniger Wochen ein genaues Mausmodell einer speziellen Krankheit generieren oder Genfunktionen genau studieren. Gleichzeitig sind die einzelnen Bestandteile der Genschere biotechnologisch sowie synthetisch einfach und schnell herzustellen. In der Folge entwickelte sich CRISPR/Cas9 seit seiner Einführung 2012 zu einem Standard in vielen Laboren.

Genchirurgie nach bakteriellem Vorbild

Das CRISPR/Cas9-System stammt aus Bakterien und dient dort der Viren-Abwehr. Es besteht aus der Cas9-Nuklease (Schere), die an CRISPR-RNA (crRNA) gekoppelt ist. Letzteres ist das „Faksimile“ eines viralen DNA-Fragments und ermöglicht Cas9, das Ziel anzuvisieren. Findet der Komplex ein crRNA-Gegenstück, kommt die Schere zum Einsatz. Genchirurgen nutzen den Mechanismus und verändern die crRNA-Sequenz so, dass Cas9 präzise an der Stelle schneidet, die sie manipulieren wollen. Soll etwas Neues eingebaut werden, lässt sich CRISPR/Cas9 an die passende Reparaturmatrize koppeln. Diese besteht aus der Wunschsequenz, die an beiden Enden der geschnittenen DNA gleicht (homolog ist). Die zelleigenen Reparaturmechanismen fügen sie deshalb passgenau ein. Die Zelle kann den Schnitt auch ohne Vorlage kitten. Ein „non-homologous end joining“ ist allerdings fehleranfällig und wird i.d.R. nur zur Unterbrechung von Genen (Knock-outs) verwendet. Über ein zusätzliches Enzym lassen sich im modifizierten dCas9-System sogar gezielte Punktmutationen einbauen, ohne zu schneiden.

Fehler sind zwar selten, aber möglich

Dass diese Medaille auch eine Kehrseite hat, wurde letztes Jahr deutlich. Denn auch die Manipulation von humanen Embryonen – in Deutschland eine Straftat – blieb nicht mehr den Spezialisten vorbehalten. Die Grenze, einer Frau genetisch veränderte Embryonen einzupflanzen, überschritt 2018 nicht etwa der führende Experte in der Genom-Editierung. Es war ein relativ unbekannter chinesischer Biophysiker, der so nebenbei mittels HIV-immuner Kinder die Welt verbessern wollte. Die in der Folge weltweit geführte Debatte zeigte klar: Ethische und rechtliche Regelungen hinken der Forschung derzeit eindeutig hinterher. Aber es gibt auch wissenschaftliche Bedenken. Denn der Mensch erhält das handhabbare Werkzeug, „den eigenen Bauplan zu modifizieren – allerdings noch bevor dieser hinreichend verstanden ist“, schreiben Professor Dr. Bernhard Schermer vom Nephrologischen Forschungs­labor der Uniklinik Köln und Professor Dr. Thomas Benzing vom Zentrum für molekulare Medizin Köln. Durch stetige Verbesserungen der Genschere ist die unbeabsichtigte fehlerhafte Veränderung des Genoms zwar selten, aber möglich. Beispielsweise wenn die Schere nicht an der designierten Stelle ansetzt, sondern an einer anderen sehr ähnlichen Sequenz. Auch der Einbau des künstlich veränderten Erbguts oder das „Kleben“ der Schnittstelle kann theoretisch fehlerhaft sein. Sind die Enzyme länger aktiv als geplant, kommt es zu einem Mosaizismus, also einem ungewollten Gemisch aus editierten und nicht editierten Zellen. Diese Effekte könnten sich bei einem Einsatz in der humanen Keimbahn auf mehrere Generationen auswirken. Für Studien bräuchte man folglich ein Monitoring, das mehrere Generationen umfasst. In der Summe spricht das derzeit gegen eine sichere Anwendung, schreiben die Experten.

Therapeutische Anwendung abseits der Keimbahn denkbar

Zusätzlich gilt es zu überlegen, bei welchen Krankheiten ein Keimzellen-Editing sinnvoll wäre. Autosomal-rezessiv vererbte Defekte verlaufen homozygot meist so schwer, dass ein Kinderwunsch nicht in Betracht kommt, und bei heterozygoten Nachkommen manifestieren sie sich nicht. Autosomal-dominante Erkrankungen kämen für die Behandlung zwar infrage, ließen sich aber auch über humangenetische Beratung und (theoretisch) Präimplantationsdiagnostik* angehen. Ganz anders sieht es bei der Veränderung von Zellen außerhalb der Keimbahn aus. Eine gezielte Gentherapie der krankhaften Blutzellen wird derzeit bei Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie erwogen. Auch eine HIV-Therapie wäre denkbar, schreiben die Autoren. Der theo­retische Ansatz ähnelt sogar dem des eifrigen Biophysikers, allerdings in dieser Form beschränkt auf die T-Zellen des Betroffenen.

An der nächsten Genschere wird bereits gearbeitet

Noch ist die größte Hürde, die jeweiligen Zellen gezielt zu erreichen. Deshalb werden in den geplanten klinischen Studien die Blutzellen ex vivo editiert und dem Patienten danach reinjiziert. Ob bei zukünftigen Therapien das CRISPR/Cas9-System noch eine Rolle spielt oder die nächste Genschere, die sich bereits in der Pipeline befindet, bleibt abzuwarten.

Quelle: Schermer B, Benzing T. Dtsch Med Wochenschr 2019; 144: 276-281

* Die PID ist in Deutschland nach Embryonenschutzgesetz nur in extremen Ausnahme­situationen nicht rechtswidrig.