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Die neue Leitlinie zur „Therapie des Typ-1-Diabetes“

Autor: Alisa Ort

Die Leitlinie richtet sich explizit auch an die Patienten. (Rechts: Prof. Dr. Thomas Haak, Leitlinienkoordinator Diabetes Zentrum Mergentheim, Bad Mergentheim)
Die Leitlinie richtet sich explizit auch an die Patienten. (Rechts: Prof. Dr. Thomas Haak, Leitlinienkoordinator Diabetes Zentrum Mergentheim, Bad Mergentheim) © fotolia/scusi; zVg
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Die zweite Auflage der S3-Leitlinie „Therapie des Typ-1-Diabetes“ ist seit wenigen Wochen verfügbar. Leitlinienkoordinator Professor Dr. Thomas Haak vom Dia­betes Zentrum Mergentheim spricht im Interview über einvernehmliche Zielwerte, geklärte Zuständigkeiten und praxis­nahe Neuerungen.

Sechs Jahre sind seit Erstpublikation der S3-Leitlinie zur Therapie des Typ-1-Diabetes vergangen. Was sind die wesentlichen Aktualisierungen der zweiten Auflage?

Professor Dr. Thomas Haak: Wir haben sämtliche neue technische Möglichkeiten, die in den letzten Jahren auf den Markt gekommen sind, in die Leitlinie integriert und bewertet. Dazu zählen z.B iscCGM, rtCGM oder die sensorunterstützte Pumpentherapie. Zudem finden sich in der Neuauflage aufgrund der aktuellen Datenlage keine Präferenzen mehr für den Einsatz bestimmter Insuline. Auch die bisherigen Streitigkeiten, was muss stationär, was kann ambulant behandelt werden, haben wir aus der aktuellen Leitlinie eliminiert. Das ist über die DMPs klar geregelt. Wir konnten uns außerdem auf einen einvernehmlichen Zielwert des HbA1c von kleiner gleich 7,5 % einigen. Bei einem niedrigen Hypoglykämierisiko kann dieser sogar bei kleiner gleich 6,5 % liegen.

Zudem haben wir das Kapitel zur akutmedizinischen Behandlung dia­betischer Ketoazidosen komplett überarbeitet und konkretisiert. U.a. findet sich dort nun auch ein Infusionsplan zur Flüssigkeitssubstitution. Erstmals gibt es auch einen sehr praxisnahen Abschnitt zur Diagnostik und Behandlung von Lipodystrophien.

Was war Ihnen bei der Erstellung der Leitlinie persönlich ein wichtiges Anliegen?

Prof. Haak: Besonders wichtig finde ich, dass wir alle relevanten Fachgesellschaften in die Erstellung einbinden konnten. Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, des Verbands der Diabetesberatungs- und Schulungsberufe Deutschland, der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin, der Deutschen Diabetes-Hilfe – Menschen mit Dia­betes sowie der Deutschen Adipositas Gesellschaft haben aktiv mitgearbeitet. Und es ist es uns gemeinsam gelungen, uns auf einen Konsens zu einigen und damit – im Gegensatz zu der Vorauflage – auf Sondervoten zu verzichten.

Immer mehr Typ-1-Diabetespatienten erreichen mittlerweile ein hohes Alter – inwieweit wird auf die Behandlung geriatrischer Patienten in der Leitlinie eingegangen?

Prof. Haak: Dazu wird in Kürze die neue S2k-Leitlinie „Diagnostik, Therapie und Verlaufskon­trolle des Dia­betes mellitus im Alter“ verfügbar sein. Wir haben diesem Aspekt aber insofern Rechnung getragen, dass bei höherem Lebensalter, bedeutenden Komorbiditäten bzw. einer geringen Lebenserwartung höhere Blutzuckerwerte bis zu einem HbA1c von 8,5 % toleriert werden können, um Hypoglykämien zu vermeiden.

In der Neuauflage wird auch auf die Datenlage zum Einsatz von SGLT2-Hemmern eingegangen. Welche Bedeutung messen Sie deren zukünftigen Einsatz zu?

Prof. Haak: Zum jetzigen Zeitpunkt wäre der Einsatz von SGLT2-Hemmern bei Diabetes Typ 1 ein Off-Label-Use. Ich persönlich bin der Meinung, dass das Prinzip, die Glukose über die Niere zu eliminieren, ein guter Ansatz ist – da weniger Insulin benötigt wird, was wiederum das Hypoglykämierisiko senkt. Der Nachteil ist allerdings, dass ein Mangel an Insulin zu Fettgewebsabbau und damit zur Übersäuerung des Blutes, also einer Ketoazidose, führen kann.

Ein wichtiges Warnzeichen dafür, nämlich ein hoher Glukosewert, fällt durch die renale Glukose-Ausscheidung jedoch aus. Das macht diesen Therapieansatz teilweise risikoreich. Wenn man dennoch mit einer solchen Behandlung beginnt, sollten die infrage kommenden Patienten sehr gut aufgeklärt werden und entsprechende Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden. Die Patienten müssen z.B. in der Lage sein, Ketonkörper im Urin bzw. Blut zu messen. Das sollte zukünftig auch inhaltlich in Schulungen abgedeckt werden. Die Sub­stanzen haben Potenzial, man darf sie aber nicht undifferenziert einsetzen.

Wie könnte die Therapie bei Typ 1 in zehn Jahren aussehen?

Prof. Haak: Ich gehe davon aus, dass in zehn Jahren die meisten Menschen mit intensivierter Insulintherapie statt Blutzuckermessungen Sensoren zur Glukoseüberwachung und Therapiesteuerung verwenden werden. Dadurch lassen sich sehr viel mehr Informationen generieren und damit eine höhere Therapiesicherheit erreichen. Natürlich geht das auch mit einer Datenflut einher, bei der es gilt, sich damit auseinanderzusetzen. Es müssen neue Therapieziele definiert werden, die Time-in-Range wird z.B. stark an Bedeutung gewinnen. Auch die Insulinpumpentherapie wird zunehmend häufiger mit einem Sensor kombiniert werden, der hilft, den Blutzucker im Zielbereich zu halten.

Was es in zehn Jahren meiner Meinung nach nicht geben wird, ist eine vollständige Eigenregulation des Blutzuckers über Pumpe und Sensor. Das wird erst Realität werden können, wenn die Insulinzufuhr nicht mehr über das Unterhautfettgewebe läuft. Das System ist einfach zu träge. Ich sehe dafür nur eine Chance, wenn es möglich wird, das Insulin über einen speziellen Katheter direkt in die Bauchhöhle abzugeben, für einen unverzüglichen Wirkeintritt.

Direkter Link zur Leitlinie: www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/057-013l_S3-Therapie-Typ-1-Diabetes_2018-04_01.pdf