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Histaminunverträglichkeit: „Ob es die Krankheit gibt, ist umstritten“

Autor: Kathrin Strobel

Die von den Patienten beschriebenen Probleme lassen sich oft nicht durch eine Provokation reproduzieren. Die von den Patienten beschriebenen Probleme lassen sich oft nicht durch eine Provokation reproduzieren. © fotolia/WavebreakMediaMicro
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Immer mehr Patienten scheinen sich selbst die Diagnose „Histaminunverträglichkeit“ zu stellen. Dabei ist die Existenz der Erkrankung bislang nicht belegt. Das klinische Bild ist uneindeutig, valide diagnostische Tests fehlen. Eine Expertin gibt Tipps, wie man mit den Betroffenen umgehen kann.

Histamin übt vielfältige Funktionen im gesamten Organismus aus. Es verwundert daher nicht, dass übermäßige Mengen des Stoffs zu einem sehr bunten Symptombild führen können, erklärte Privatdozentin Dr. Viola­ Andresen­ vom Israelitischen Krankenhaus Hamburg. Dies kennt man zum Beispiel von „Fischvergiftungen“: Im Rahmen des Verderbnisprozesses entstehen in histidinreichen Fisch­arten große Mengen an Histamin.

Der Verzehr kann zu Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Fieber, Kopfschmerzen, Hautjucken und Brennen im Mund führen. Für „normale“ Mengen, wie sie in frischen Lebensmitteln vorkommen, ist so ein Zusammenhang bislang zwar nicht bewiesen. Dennoch berichten immer mehr Patienten über entsprechende Beschwerden – teilweise kommen zu den oben genannten noch weitere, eher unspezifische hinzu, wie Schwindel oder Herz­rasen.

Sitzt ein Patient mit Verdacht auf eine Unverträglichkeit in der Praxis, spielt eine ausführliche Anamnese eine wichtige Rolle. Neben der klinischen Symptomatik liefert zum Beispiel die Dauer zwischen Nahrungsaufnahme und Beginn der Beschwerden einen entscheidenden Hinweis. Sie beträgt bei einer tatsächlichen Unverträglichkeit in der Regel zwischen Minuten und maximal vier Stunden. Überprüfen kann man das aber nur bedingt. Denn häufig lassen sich die von den Patienten beschriebenen Probleme durch erneute Histamin-Provokation nicht eindeutig reproduzieren. Je nach Symptomspektrum ist die Liste der Differenzialdiagnosen, die es abzuklären gilt, lang. Ganz oben stehen das Reizdarmsyndrom, chronisch entzündliche Darmerkrankungen und andere Nahrungsmittelunverträglichkeiten.

Normaler Pricktest kann wichtige Hinweise geben

Für den laborchemischen Nachweis sind verschiedene Tests im Angebot. Allerdings gibt es bislang für keines der Verfahren ausreichend wissenschaftliche Evidenz und ihr diagnostischer Wert ist unklar. Manche der Verfahren könnten aber laut Dr. Andresen zumindest als Unterstützung des klinischen Verdachts einen Wert haben bzw. bekommen.

So korrelierte in einer Studie die Persistenz der im normalen Allergie-Pricktest als Positivkontrolle verwendeten Histamin-Quaddel nach 50 Minuten signifikant mit dem klinischen Bild einer Histaminunverträglichkeit. Eine fortbestehende Quaddel weist also auf eine Histamin-Abbaustörung hin.

Mittlerweile gibt es Verfahren, bei denen die Aktivität des histaminabbauenden Enzyms Diamin­oxydase (DAO) im Serum gemessen wird. Studien konnten zeigen, dass eine erniedrigte DAO-Aktivität signifikant mit dem klinischen Bild einer Histaminunverträglichkeit korreliert. Die so identifizierten Patienten sprechen deutlich auf eine Ernährungstherapie an. Direkt Rückschluss auf die Histamin-Abbau-Kapazität des Darms könnte man ziehen, indem man die histaminabbauenden Enzyme mittels Darmbiopsien bestimmt. Bislang wird dieses Verfahren jedoch nicht zur Diagnostik der Histaminintoleranz eingesetzt.

Als praktikables Vorgehen zur klinischen Diagnostik empfiehlt die aktuelle Leitlinie eine dreistufige Ernährungsumstellung und, um den Verdacht im Falle eines Ansprechens zu erhärten, eine titrierte orale Provokation (s. Kasten). Hiermit lässt sich idealerweise die individuelle Histamin-Toleranzschwelle ermitteln. Bei der Ernährungsumstellung sollte der Patient durch eine professionelle Ernährungsberatung unterstützt werden, so Dr. Andresen.

Ernährung in drei Schritten umstellen

Phase 1: Karenz (10–14 Tage)
Histaminarme, gemüsebetonte Kost Phase 2: Test (bis zu 6 Wochen)
Austesten der individuellen Toleranzschwelle durch gezielte Wiedereinführung histaminhaltiger Nahrungsmittel Phase 3: Dauerernährung (dauer­haft)
Individuelle Ernährungsempfehlung auf Basis der persönlichen Histaminverträglichkeit

Es gilt, die Lebensmittel zu meiden oder zu reduzieren, die selbst einen hohen Histamingehalt haben oder bei denen eine verstärkte Stimulation der endogenen Histaminausschüttung vermutet wird. Zu beachten ist hierbei, dass der Histamingehalt von Lebensmitteln starken Schwankungen unterliegt. Die Eliminationsdiät kommt auch in der Therapie zum Einsatz. Aufgrund des Risikos einer Fehl- oder Mangelernährung empfiehlt sich eine längerfristige Ernährungsumstellung allerdings nur bei gesichertem, am besten durch einen Provokationstest bestätigtem Ansprechen, sagte Prof. Andresen. Gegebenenfalls können unterstützend DAO-Kofaktoren wie Vitamin B6, Vitamin C oder Zink gegeben werden.

DAO-Ergänzung reduziert die Beschwerden

Hinsichtlich der medikamentösen Behandlung ist die Evidenzlage bislang noch schwach, beklagte die Expertin. Allerdings gibt es Hinweise, dass die Einnahme von Diaminoxidase wirksam sein könnte. In einer verblindeten primär-diagnostischen Studie führte die DAO-Ergänzung zu einer signifikanten Besserung der histamininduzierten Beschwerden. Auch Patienten mit chronischer Urtikaria, für die Histamin als eine mögliche Ursache diskutiert wird, profitierten in einer Studie von DAO. Die Gabe eines Histamin1/2-Rezeptor-Blockers könnte z.B. bei diätrefraktären Fällen zur Klärung der Rolle des Histamins in der Symptomgenese eingesetzt werden, erläuterte Dr. Andresen. Auch für akute Histamin-Belastungssituationen seien sie als Option denkbar. Um tatsächlich betroffene Personen sicher zu identifizieren und im Gegenzug die häufigen Fehldia­gnosen einzudämmen, bedürfe es einer noch viel intensiveren Forschung auf diesem Gebiet, schloss die Ernährungsexpertin. Schließlich gibt es genügend Hinweise, dass zumindest bei manchen Personen in bestimmten Situationen tatsächlich eine histaminvermittelte Symptomatik auftritt.

Quelle: 27. Gastroenterologie-Update-Seminar