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Hypertonie: Neue Leitlinie zum Bluthochdruck nennt auch eine Untergrenze

Autor: Dr. Anja Braunwarth

Das neue Ziel für Hochdruck-Patienten lautet: < 140/90 mmHg! Das neue Ziel für Hochdruck-Patienten lautet: < 140/90 mmHg! © fotolia/Teodor Lazarev
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Nicht tiefer als 120 mmHg senken, auch Ältere behandeln und immer gleich mit zwei Substanzen starten: Das sind wohl die wichtigsten Neuerungen der aktuellen europäischen Hypertonie-Leitlinie.

Mit einer Blutdruckmessung war es noch nie getan. Und so fordert auch die neue Leitlinie, dass in der Praxis wiederholt erhöhte RR-Werte auffallen müssen, bevor eine Hypertonie als gesichert gelten darf. Ausnahme: ein schwerer Hochdruck, z.B. Grad III (s. Tabelle). Neu ist, dass jetzt auch die ambulante Messung via 24-Stunden-Gerät und die zu Hause vom Patienten in Eigenregie durchgeführte ebenfalls die Diagnose erlauben, berichtete Professor Dr. Richard McManus vom Nuffield Department of Primary Care der University of Oxford. Zum „auswärtigen“ Vorgehen raten die Experten vor allem bei grenzwertigen Befunden, die den Verdacht auf eine maskierte oder Weißkittelhypertonie wecken.

Klassifikation der Hypertonie
Kategoriesystolisch (mmHg)diastolisch (mmHg)
optimal< 120 und< 80
normal120-129und / oder80-84
hochnormal 130-139und / oder85-89
Grad-I-Hypertonie 140-159und / oder90-99
Grad-II-Hypertonie160-179 und / oder100-109
Grad-III-Hypertonie≥ 180 und / oder≥ 110
isolierte systolische Hypertonie≥ 140und< 90


Duale Therapie von Anfang an

Letztere braucht nicht gleich eine medikamentöse Therapie, es sei denn, es besteht ein sehr hohes kardiovaskuläres Risiko oder es liegt bereits ein krankheitsbedingter Organschaden vor. Im Vordergrund steht die Lebensstilmodifikation. Sie hat auch beim maskierten Hochdruck oberste Priorität, zusätzlich sollte man aber doch die Pharmakotherapie erwägen, um den ambulant erhöhten Druck zu senken.

Zum initialen Screening auf einen hypertoniebedingten Organschaden (hypertension-mediated organ damage, HMOD) gehören:

  • 12-Kanal-EKG
  • Kreatinin im Serum
  • GFR
  • Bestimmung der Albumin/Kreatinin-Ratio im Urin
  • Fundoskopie

Das wichtigste Kennzeichen des HMOD ist die linksventrikuläre Hypertrophie (LVH), erinnerte Professor Dr. Giovanni de Simone vom Hypertension Research Center der Università di Napoli Federico II. Sie lässt sich am besten mittels Echokardiographie aufdecken.Weiterführende Untersuchungen umfassen Karotisdoppler, Abdomensono, Doppler der Nierenarterien, Bestimmung von Pulswellengeschwindigkeit und Knöchel-Arm-Index sowie kognitive Funktionstests und eine Bildgebung vom Gehirn.

Die Hypertonie Grad II und III immer behandeln, Grad I bei hohem kardiovaskulären Risiko – darüber herrschte in den Leitlinien von 2013 Einigkeit. Dagegen war man sich bei weniger gefährdeten oder älteren Grad-I-Hypertonikern und hochnormalen Werten unsicher, berichtete Professor Dr. Giuseppe Mancia, Emeritus der Universität Mailand. Nach Datenlage der vergangenen Jahre empfehlen die Experten nun, bei Hochrisikokandidaten mit hochnormalem Druck eine medikamentöse Therapie zu erwägen. Man sollte sie bei allen Grad-I-Patienten einleiten, wenn Lebensstilinterventionen nach drei bis sechs Monaten keinen Erfolg gebracht haben.

Die Therapieziele vor fünf Jahren lauteten < 140/90 mmHg generell und < 150–140/90 mmHg bei Älteren. Jetzt heißt es für alle: < 140/90 mmHg. Und wird die Therapie gut vertragen, wird idealerweise weiter auf 130/80 mmHg gesenkt. Bei Diabetikern darf es gerne noch ein bisschen weniger sein. Aber nicht unter 120 mmHg, warnte Prof. Mancia. Denn zu niedrige Werte gingen in Studien, ähnlich wie zu hohe, mit einem schlechteren Outcome einher.

Traditionell startete man seit jeher mit einer Monotherapie, die erst bei Erfolglosigkeit aufgestockt wurde. Dieses klassische Modell führte aber dazu, dass viel zu viele Patienten im ersten Schritt hängenblieben – mit entsprechend schlechter Blutdruckeinstellung.

Antikoagulation nur bei Normotonie

Die neuen Leitlinien propagieren daher nun von Anfang an eine duale Behandlung. Und das bitte in einer fixen Kombipille, mahnte Professor Dr. Bryan Williams vom University College Hospital London. Denn mit jeder Tablette mehr, die der Patient nehmen muss, schwindet die Adhärenz. Braucht der Hypertoniker eine Dreifachtherapie, gibt es auch dafür inzwischen eine ganze Reihe von Fixpräparaten. Nur sehr gebrechliche alte Menschen, solche mit niedrigem Risiko oder Grad I-Hypertonie kommen noch für eine Monotherapie infrage.

Als bevorzugte Substanzen nennt die Leitlinie ACE-Hemmer oder AT1-Blocker plus Kalziumantagonist und/oder (Thiazid)-Diuretikum. Betablocker sollten nur in Kombination und speziellen klinischen Situationen Anwendung finden, z.B. nach Infarkt, bei Herzinsuffzienz oder zur Rhythmuskontrolle. Von der parallelen Gabe zweier Renin-Angiotensin-Blocker raten die Autoren ab. Einige Studien haben vielversprechende Ergebnisse durch invasivere Maßnahmen, z.B. renale Denervation, geliefert. In der Praxis ist es aber für solche Ansätze noch zu früh, so Prof. Williams.

An sekundäre Hypertonieformen erinnerte Professor Dr. Thomas Kahan, Kardiologe am Danderyd University Hospital, Stockholm. Es gibt einige Konstellationen, die darauf hinweisen können. (s. Kasten). Zu den häufigsten Ursachen gehören die obstruktive Schlafapnoe, parenchymatöse oder vaskuläre Nierenerkrankungen sowie der primäre Aldosteronismus.

Was an eine sekundäre Hypertonie denken lässt

  • jüngere Patienten (< 40 Jahre) mit Grad-II-Hypertonie oder Entwicklung jeglichen Hochdrucks in der Kindheit
  • akute Verschlechterung der Werte bei vorher stabiler Normotension
  • resistente Hypertonie (trotz optimaler Therapie keine Kontrolle)
  • Grad-III-Hypertonie oder hypertensiver Notfall (z.B. intrakranielle Blutung, akute Herzinsuffizienz)
  • ausgedehnter HMOD
  • klinisch oder biochemisch Hinweise auf endokrine Ursachen des Hochdrucks oder bestehende chronische Nierenkrankheit
  • Hinweise auf obstruktive Schlafapnoe
  • Symptome eines Phäochromozytoms oder Phäochromozytoms in der Familienanamnese

Hypertoniker mit gleichzeitigem Vorhofflimmern profitieren vermutlich von einer oralen Antikogulation, auch wenn sie sonst keine Risikofaktoren für einen Schlaganfall aufweisen. Vor Gabe eines Gerinnungshemmmers sollte aber der Druck im Zielbereich liegen. 

Quelle: ESC* Congress 2018

* European Society of Cardiology