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Mehr ADHS-Diagnosen bei früh eingeschulten Kindern

Autor: Michael Brendler

Jüngere Klassenkameraden leiden nicht zwingend unter ADHS, sondern sind meist einfach unreifer. Jüngere Klassenkameraden leiden nicht zwingend unter ADHS, sondern sind meist einfach unreifer. © iStock.com/JackF
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Kinder, die gleich nach ihrem sechsten Geburtstag ein­geschult werden, bekommen häufiger die Diagnose ADHS als ältere Klassenkameraden. Die Jüngeren sind oft nur unreifer – und die Diagnose ADHS womöglich einfach falsch.

Vergleicht man Kinder, die im August geboren worden sind, mit denen, die im darauffolgenden September zur Welt gekommen sind, ergibt sich in der ADHS-Häufigkeit ein Unterschied von 34 %. Der Grund ist der Stichtag für die Einschulung – in vielen US-Bundesstaaten ist das der 1. September: Wer vor diesem Datum sechs Jahre alt ist, kommt in die Schule. Wer später geboren wurde, muss noch ein Jahr warten.

Diesen Sachverhalt machten sich Dr. Timothy Layton von der Harvard Medical School und Kollegen zunutze. Die Wissenschaftler arbeiteten sich bei fast 40 800 Grundschülern durch die Versicherungsdaten, die Zeugnis über die Gesundheit der Kinder ablegen. Bei den im August Geborenen betrug die ADHS-Prävalenz 85,1 auf 10 000 Grundschüler, bei den September-Kindern lag sie gerade einmal bei 63,6. Dementsprechend bekamen die jüngeren Kinder auch deutlich häufiger Medikamente verordnet (+32 %) und wurden zudem länger behandelt.

Die Diagnose hängt immer vom Kontext ab

„Die Ergebnisse deuten darauf hin, das eine nicht unerhebliche Zahl Kinder, die angeblich an einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung leiden, überdiagnostiziert und überbehandelt werden“, wird Dr. Layton in einer Pressemitteilung der Harvard Medical School zitiert. Und zwar, weil sie in den ersten Schuljahren im Vergleich zu ihren deutlich älteren Klassenkameraden schlicht und einfach unreifer sind.

Ein Verhalten, das für ein Kind wenige Tage nach seinem sechsten Geburtstag vollkommen normal ist, kann gegenüber den fast ein Jahr älteren Klassenkameraden ohne weiteres auffällig sein. Und weil dann die jüngeren Kinder eher unaufmerksam wirken und aus dem Rahmen fallen, werde bei ihnen auch schneller ein ADHS diagnostiziert. Für diese Erklärung spricht auch, dass sich bei Grundschülern in Bundesstaaten, die nicht den 1. September als Stichtag für die Einschulung hatten, keinerlei Unterschiede zwischen August- und September-Kindern finden ließen. „Die Diagnose hängt immer von dem Kontext ab, in dem sie gestellt wird“, sagt Professor Dr. Anupam Jena, Laytons Kollege und korrespondierender Autor der Studie.

Quelle: Layton TJ et al. N Engl J Med 2018; 379: 2122-2130