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Penicillin: Bedeutung vor allem bei Tonsillopharyngitis überschätzt

Autor: Dr. Elke Ruchalla

Das Kind hat eine Tonsillopharyngitis? Die meisten Empfehlungen zur Antibiotikagabe sind veraltet. Das Kind hat eine Tonsillopharyngitis? Die meisten Empfehlungen zur Antibiotikagabe sind veraltet. © iStock.com/Tom Merton
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In der Pädiatrie existiert eine ganze Reihe von Empfehlungen, die penibel eingehalten werden sollen. Das gilt vor allem für die Behandlung von Infektionskrankheiten. Doch die sind manchmal wenig sinnvoll.

Penicillin zu verordnen, gilt bei Kindern mit einer Tonsillopharyngitis durch β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A quasi als Pflichtübung. Das Medikament soll dabei neben der Therapie der Halsentzündung vor allem der späteren Entwicklung eines akuten rheumatischen Fiebers (ARF) vorbeugen. Vielerorts, z.B. in Ländern ohne Rezeptpflicht, lautet die Empfehlung sogar, grundsätzlich bei Halsschmerzen aller Art Antibiotika einzunehmen, weil die Ursache der Beschwerden ja eine Streptokokkenangina sein könnte, berichtet Professor Dr. Reinhard Berner von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus in Dresden.

Allerdings beruht dieses Vorgehen auf mehr als 50 Jahre alten Untersuchungen mit zweifelhafter Relevanz: In den 1950er-Jahren kam es bei Rekruten bzw. Soldaten zu Epidemien von ARF. US-amerikanische Militärärzte versuchten daraufhin, diese Ausbrüche durch Antibiotika abzuschwächen oder ganz zu verhindern – mit Erfolg. Aber: Die Mediziner verwendeten damals ölige i.m. Formulierungen von Procain-Penicillin – über den Sinn (oder Unsinn) der Prophylaxe mit oralen Penicillinpräparaten gibt es bislang keine belastbaren Daten, betont der Dresdner Pädiater. Die aktuellen Leitlinien sehen daher keine Rechtfertigung mehr für eine Antibiose bei Tonsillopharyngitis zur ARF-Prophylaxe.

Empfehlungen stammen aus den 1950er-Jahren

Ähnliches gilt für die Dauer der Antibiotikaeinnahme (s. auch Kasten): Patienten mit Streptokokkenangina sollen die Präparate mindestens zehn Tage einnehmen – sonst drohten Rückfälle, so die landläufige Meinung.

Immer schön aufessen – auch die Antibiotika?

Wird die Packung nicht bis zum Ende genommen, droht die Entwicklung von resistenten Erregern – das könnte ein weiterer Mythos sein. Zwar muss die Antibiose bei einer behandlungspflichtigen bakteriellen Infektion ausreichend lange erfolgen. Wie lange aber „ausreichend“ ist, weiß offenbar niemand so genau. Klar scheint aber, dass das Ende der Einnahme nicht zur Resistenzentwicklung führt. Ganz und gar widersinnig wird die Empfehlung, wenn die Substanzen für nicht-bakterielle Erkrankungen verschrieben wurden. Grundsätzlich lautet die beste Strategie zur Verhinderung von Resistenzen: unnötige Antibiotika weglassen.

Aber auch dieser Wert stammt aus den 1950ern. Außerdem hatten die damaligen Studien, ebenfalls an US-Rekruten, als Endpunkt lediglich die Eradikation der Streptokokken bei gesunden Trägern geprüft, erläutert Prof. Berner, nicht das Auftreten von klinischen Rezidiv-Anginen oder eines ARF. Und die daraus abgeleiteten Empfehlungen zur Behandlungsdauer umfassten bald nicht nur die Streptokokkenangina, sondern auch Meningitiden, Pneumonien und Otitis media – für die überhaupt keine Untersuchungen vorlagen und bis jetzt nicht vorliegen. 

Quelle: Berner R. Monatsschr Kinderheilkd 2018; 166: 1111-1113