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Designerbabys und Organdrucker: Sprengt die Medizin der Zukunft unser Gesundheitssystem?

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Möglicherweise können bald ganze Organe im 3D-Drucker hergestellt werden. Möglicherweise können bald ganze Organe im 3D-Drucker hergestellt werden. © iStock/Scharfsinn86
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Wie umgehen mit Designerbabys und Organdruckern? In Deutschland steht man derzeit planlos vor den Entwicklungen, die im Silicon Valley vorangetrieben werden. Die Robert-Bosch-Stiftung will Bewegung in die Debatte bringen.

Die Robert-Bosch-Stiftung lädt Politiker und Bürger zum Dialog über die digitale Zukunft ein. Gemeinsam mit der Hertie School of Governance möchte sie mithilfe der Initiative „Neustart! Reformwerkstatt für unser Gesundheitswesen“ eine Debatte anstoßen, „die eingefahrene Denkschemata löst“, so Kurator Wolfgang Chur. Ziel ist, bis zur Bundestagswahl 2021 Impulse für eine umfassende Reform der Gesundheitsversorgung zu setzen.

Deutschland ist nicht einmal ansatzweise vorbereitet

Eine Podiumsdiskussion über „Organdrucker und Designerbabys – Wird unsere Gesundheit neu erfunden?“ machte deutlich, dass Deutschland nicht einmal ansatzweise auf die künftigen Herausforderungen vorbereitet ist. Es fehlt an Ideen und ausreichenden Investitionen. Das liegt u.a. daran, dass bisher die Entwicklung gar nicht abzuschätzen ist, wie Thomas Schulz, USA-Korrespondent des „Spiegel“, meint. Er berichtete regelmäßig aus dem Silicon Valley, der Quelle modernster digitaler Projekte. Aus aller Welt kommen Wissenschaftler hierher, um zu tüfteln, wobei vor allem die Medizin im Fokus steht.

Geforscht wird zurzeit an einem Bluttest zur Krebsfrüherkennung. Eine Milliarde Dollar an Startkapital stehen zur Verfügung:„Wenn das klappt, sind die Folgen für das Gesundheitssystem enorm“, so Schulz. 500 Mio. Dollar haben die Forscher des Unternehmens Organovo zur Verfügung. Sie entwickeln künstliches Lebergewebe und wollen bald ganze Organe nachdrucken lassen.

Das gemeinnützige Unternehmen Chan Zuckerberg Biohub will mit seiner Cell Atlas Initiative herausfinden, welche Zellen die wichtigsten Organe – Gehirn, Herz, Lunge – kontrollieren. Auch dem Kampf gegen Infektionskrankheiten wie Ebola, Zika und Gelbfieber hat sich das Unternehmen verschrieben. Ziel ist, bald jede bakterielle Erkrankung sofort erkennen zu können. Und ein längeres Leben der Menschen zu erreichen steht im Fokus von Genetikern, die für Google arbeiten.

Umgerechnet 100 Mio. Euro standen 2017 laut Schulz im Silicon Valley für die Forschung und Entwicklung zur Verfügung, wobei die dort arbeitenden Tüftler aus aller Welt einem„gnadenlosen Wissenschaftsutopismus“ verfallen seien. Der Fortschritt aus allen Bereichen werde zusammenfließen und sich so noch beschleunigen. „Heute wissen wir nicht, wo wir in zwölf Monaten stehen“, sagte Schulz und erinnerte an die Genomsequenzierung, die vor acht Jahren noch Wunschdenken war und heute nur wenige Dollar kostet und wohl bald zu den Standardverfahren zählt. Zuletzt erinnerte der Reporter noch an Keimbahn- Eingriffe mittels Genschere, durch die sich in der Zukunft Designerbabys kreieren lassen. „Darauf sind wir nicht vorbereitet“, mahnte der Journalist.

Ein langsamer G-BA macht Anpassungen nicht leichter

Die Podiumsdiskussion brachte schließlich alle Anwesenden wieder zurück in den deutschen gesundheitspolitischen Alltag. Rasanter Fortschritt mit Milliardenpolster trifft auf Behäbigkeit und ein solidarisches Gesundheitssystem mit eher begrenzten Mitteln, könnte man die Situation zusammenfassen. Ob Politiker, Kassenvertreter oder Ärzte – alle Diskutanten bemühten sich, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Doch die Herausforderungen durch den digitalen Wandel sind enorm und die Skepsis, ob ein Gesundheitswesen wie das jetzige Schritt halten kann, war deutlich zu spüren. Verwiesen wurde auf Schwachstellen im System, die jetzt schon vorhanden sind, u.a. auf einen langsamen Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), auf die Kommerzialisierung der Versorgung, auf Grabenkämpfe zwischen Sektoren.

Man müsse unter dem Druck näher zusammenrücken, betonte Professor Dr. Thomas P. Zahn, Geschäftsführer des Gesundheitswissenschaftlichen Instituts der AOK Nordost. Und man bräuchte einen „Innovationsraum, der nicht von Unternehmen wie Google getrübt ist“. Kulturveränderungen seien allerdings ein langer Prozess, auch für die Patienten, gab er zu bedenken.

Wenn das Tempo so weitergehe, sei es mit den bisherigen Strukturen nicht zu schaffen, äußerte Dr. Monika Lelgemann, unparteiisches Mitglied im G-BA. Sie fürchtet in diesem Fall dramatische Auswirkungen auf das Prinzip der Solidargemeinschaft. Die Bundestagsabgeordnete Professor Dr. Claudia Schmidtke, Mitglied der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ und Patientenbeauftragte der Bundesregierung, verwies darauf, dass viele rechtliche Fragen zu klären seien, wie etwa die Vorhersage bzw. Diagnostik seltener genetischer Erkrankungen und der Umgang mit Daten.

Auf die Titelfrage „Organdrucker und Designerbabys: Wird unsere Gesundheit neu erfunden?“ gab die Veranstaltung keine klare Antwort. Aber es ist ja auch erst der Beginn der von Bosch initiierten Debatte.

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