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„Elektroschrott in die Praxen gepresst“: Telematik-Verweigerer kritisieren Sanktionen

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Die verpflichtende Digitalisierung stößt auf Kritik. Die verpflichtende Digitalisierung stößt auf Kritik. © fotodesignart – stock.adobe.com
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Genaue Zahlen zu Problemen beim Anschluss der Praxen an die Telematik-Infrastruktur (TI) liegen der KBV nicht vor. Allerdings geht sie davon aus, dass 20 bis 30 % der Niedergelassenen die Frist vom 30. Juni reißen werden.

Etwa 70 bis 80 % der Praxen werden bis Ende des Quartals an die Telematik-Infrastruktur (TI) angeschlossen sein, schätzt Dr. Thomas Kriedel, Mitglied des KBV-Vorstands. Heißt das, die anderen, die bis zum 30. Juni keinen Online-Abgleich von Versichertenstammdaten durchführen, werden mit einem einprozentigen Honorar­abzug bestraft? Dr. Kriedel meint, dass all diejenigen von Sanktionen ausgenommen werden sollten, die rechtzeitig bis zum 30. März bestellt haben, aber erst im dritten Quartal angeschlossen werden. Ebenso diejenigen, die zwar erst im zweiten Quartal die Installation geordert haben, aber es schafften, bis zum 30. Juni mitzumachen.

„Juristisch sind die Sanktionen für die KVen verbindlich, doch wir müssen realitätsnahe Lösungen finden“, sagt Dr. Kriedel dazu. Den TI-Anschluss-Verweigerern drohen nach dem Entwurf des Digitale-Versorgung-Gesetzes für 2020 sogar Honorarabzüge von 2,5 %.

MIO für die eAkte

Bei der elektronischen Patientenakte (ePA) kümmert sich die KBV darum, dass die medizinischen Inhalte für alle IT-Systeme in der Versorgung kompatibel und damit interoperabel sind. Sie spricht von der Standardisierung der „medizinischen Informationsobjekte“ (MIO). Noch 2019 werden die ersten fünf MIO veröffentlicht, z.B. der Impfpass. Das kündigte KBV-Vorstand Dr. Thomas Kriedel an. Die Abstimmung mit anderen Akteuren soll bis Mitte 2020 erfolgen, sodass den Anbietern von Praxisverwaltungssoftware Zeit bleibt, die Festlegungen für die ePA zu übernehmen. Die Kassen müssen ab 2021 eine ePA anbieten. Als Basis für die direkte Arzt-zu-Arzt-Kommunikation sind die MIO laut KBV zentral in der arztgeführten Dokumentation. Für die Entwicklungskosten hat letztlich die gematik aufzukommen.

Dr. Werner Baumgärtner, Vorstandsvorsitzender von Medi Geno Deutschland und Delegierter der KBV-Vertreterversammlung, wiederholt seine Bedenken zur Sicherheit des TI-Konnektors. Der Medi-Verbund rät allen Praxen, die keinen Konnektor installiert oder bestellt haben, Widerspruch gegen den wohl im Juli mit dem Abrechnungsbescheid für 1/19 erfolgenden Honorarabzug einzulegen. Es werde Musterverfahren geben wie schon zur Frage der TI-Kostenerstattung. Laut Medi-Verbund haben sechs Praxen in Baden-Württemberg den KV-Abrechnungsbescheiden für das Quartal 3/18, die die Kostenerstattung für die Installation und den Betrieb des TI-Konnektors enthielten, widersprochen, um gegen die Widerspruchsbescheide der KV beim Sozialgericht zu klagen. Der Allgemeinarzt glaubt: „Da wird Elektroschrott in unsere Praxen gepresst.“

„Der Praxisinhaber muss keinen Techniker überwachen“

In einem Rundschreiben argumentiert Dr. Baumgärtner mit einer Stichprobe, wonach „viele Konnektoren häufig so angeschlossen wurden, wie man sie aus Gründen der Haftung nicht anschließen sollte: im Parallelbetrieb (ohne Firewall!)“ statt in dem von gematik und KBV empfohlenen seriellen Betrieb, bei dem zwei Netzwerkkabel vom Konnektor abgehen. Für KBV-Vorstand Dr. Kriedel steht fest: Bezüglich der Sicherheit des Konnektors liegt die Verantwortung „eindeutig bei der gematik und den Herstellern der TI-Komponenten“. Letztere seien über ihre Dienstleis­ter für die korrekte Installation und Konfiguration zuständig – entsprechend eines gematik-Leitfadens von 2017. „Der Praxisinhaber muss keinen Techniker überwachen oder ihm Anweisungen geben.“ Nur in dem Fall, dass die Praxisbedingungen eine Installation nötig machen, die nicht im Leitfaden enthalten sei, sollte sich der Praxisinhaber vom Installateur ausdrücklich bescheinigen lassen, dass die Installation den gängigen Schutzstandards entspricht. Laut gematik würden durch einen korrekt installierten und konfigurierten Konnektor Angriffe von außen – aus der TI auf eine Praxis sowie in die TI – „zuverlässig verhindert“, berichtet Dr. Kriedel.

KBV: gematik ist zuständig für Datenschutzfolgeabschätzung

Nach Ansicht des KBV-Vorstands hat die gematik die Datenschutzfolgeabschätzung, die gemäß Datenschutzgrundverordnung für die TI und deren Dienste notwendig ist, vorzunehmen bzw. zu beauftragen. „Damit läge auch die Verantwortung für Datenschutzprobleme bei ihr.“ Seit dem 15. Mai ist das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mit 51 % Mehrheitseigner der gematik. Nur für die allgemeine IT-Sicherheit in der Praxis und für die ordnungsgemäße Verwendung der genutzten IT-Produkte – z.B. geschützter Internetzugang, regelmäßige Software-Updates, Passwortmanagement – seien die Ärzte und Psychotherapeuten selbst zuständig.

Gürtel plus Hosenträger bei eRezept und eAU

Das BMG hat mit der TI bald Größeres vor. So soll mit dem Gesetz für eine sichere Arzneimittelversorgung das elektronische Rezept eingeführt werden. Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) sieht bereits das Terminservice- und Versorgungsgesetz vor. Doch Dr. Kriedel kann hier keine Vereinfachungen erspähen, im Gegenteil. Es sei geplant, dass die Praxen sowohl eine AU digital an die Krankenkasse übermitteln als auch weiterhin für den Patienten bzw. Arbeitgeber einen Papierausdruck ausgeben. Und neben dem eRezept für den Apotheker bleibt es notwendig, dem Patienten einen Papierausdruck zur Legitimation in der Apotheke mitzugeben. Das BMG spreche hier von einem „agilen Vorgehen“, erklärt Dr. Kriedel: Parallel zu bestehenden kommen neue digitale Verfahren in die Versorgung. Bewähren sie sich nicht, werden sie eben wieder eingestellt. „Tempo ist im BMG derzeit das Zauberwort“, weiß die KBV.

Quelle: KBV-Vertreterversammlung

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