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Psychisch kranke Häftlinge werden mangelhaft versorgt

Gesundheitspolitik Autor: Ruth Bahners

Die Versorgung von Gefangenen mit psychiatrischen Krankheitsbildern ist „strukturell und quantitativ völlig unzureichend“, urteilt eine Kommission. Die Versorgung von Gefangenen mit psychiatrischen Krankheitsbildern ist „strukturell und quantitativ völlig unzureichend“, urteilt eine Kommission. © BortN66 – stock.adobe.com
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Statt Behandlung Isolierzelle. So sieht die Situation vieler psychisch kranker Strafgefangener in Haftanstalten in NRW aus. Eine Kommission schildert die Lage als „bedrückend“, es bedürfe der dringenden Verbesserung.

Der tragische Tod eines zu Unrecht Inhaftierten in Kleve im Herbst 2018 – er verbrannte in seiner Zelle, die er selbst angezündet haben soll –, bewegte NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) dazu, eine unabhängige Kommission mit der Untersuchung der Bedingungen in den Justizvollzugsanstalten zu beauftragen. Das siebenköpfige Gremium betrachtete in 18 der 36 Haftanstalten des Landes den Brandschutz, die Kommunikationseinrichtungen, die Suizidprävention und die Versorgung psychisch Kranker.

Die Situation psychisch Kranker habe die Kommission „betroffen gemacht“, sie bedürfe der „dringenden Verbesserung“, berichtete Heiko Manteuffel, Leiter der Kommission und ehemaliger Chef der Kölner Staatsanwaltschaft. „Das waren Bilder, die einen nicht mehr loslassen.“

Akut erkrankte Häftlinge müssten bis zu einem Jahr warten, ehe sie im einzigen forensischen JVA-Krankenhaus in Frödenberg behandelt werden könnten. Für weibliche Häftlinge gibt es bisher gar keine Betten in Frödenberg, dabei sollen gesicherten Erkenntnissen zufolge rund 30 % der JVA-Insassinnen an posttraumatischen Störungen leiden. Bis zu einer stationären Aufnahme bleiben die Gefangenen in den Haftanstalten, ohne adäquate Behandlung. Kommt es bei ihnen zu Anfällen, etwa infolge von Psychosen, werden sie in video­überwachte Isolierzellen gebracht.

Eine Ursache für diese Missstände sei die nur „knapp ausreichende“ ambulante psychiatrische Behandlung der Betroffenen. Schätzungsweise die Hälfte der Gefangenen soll ein Suchtproblem haben und fast ebenso viele eine antisozia­le Persönlichkeitsstörung. Jeder Zwanzigste leidet an einer Psychose. Dennoch gab es keinen festangestellten Psych­iater in den von der Kommission besuchten Haftanstalten.

Die ambulante psychiatrische Diagnostik und Behandlung lag durchweg in der Hand externer Vertragskräfte, die konsiliarisch tätig wurden. Es fehle vor allem ein psychiatrischer Eildienst, besonders in den Abend- und Nachtstunden sowie an den Wochenenden. Die geringe finanzielle Attraktivität dieser Tätigkeit sei dafür verantwortlich. Der Rat der Kommission, den Anreiz für therapeutische Arbeit mit den Gefangenen zu verbessern und psychiatrischen Vertragsärzten eine höhere Vergütung zu zahlen, kam das Justizministerium zumindest für psychiatrische Gutachten schon nach. Für Prognosegutachten können die JVA jetzt den Konsiliarpsychiatern entweder den einfachen GOA-Satz oder bis zu 100 Euro pro Stunde Tätigkeit bezahlen.

Dieser Stundensatz sollte auch für versorgende Psychiater bezahlt werden, fordert die Kommission. Zudem rät sie zur Telemedizin.

Teurer und weitaus aufwendiger wird die Verbesserung der stationären Versorgung werden. Die 60 psychiatrischen Betten in Frödenberg reichten bei weitem nicht aus, zumal bisher aus Sicherheitsgründen nur die Hälfte belegt wurde.

Ein Blick auf die Warteliste mit 56 Patienten machte den Experten das Problem deutlich. Die älteste Anmeldung datierte vom 22.11.2017 mit dem Vermerk vom 30.11.2018, dass die Anmeldung noch aktuell sei. Bei einer Anmeldung vom 22.11.2018 stand, dass der Gefangene unter einer akuten Psychose leide und wegen Eigen- und Fremdgefährdung in einem besonders gesicherten Haftraum untergebracht sei.

„Sie sehen in einem solchen Haftraum jemanden stehen, der aus unterschiedlichen Gründen psychisch schwer krank ist. Er schaut nur in eine Ecke. Ein anderer sitzt nur in einer Ecke und gackert. Er zieht sich aus und läuft nackt herum. Er läuft gegen die Wand“, berichtete Manteuffel im Rechtsausschuss. So ein Gefangener werde über Wochen per Video beobachtet – nicht nur im Haftraum, sondern auch, wenn er sich im Sanitärraum bei intimen Verrichtungen befände – „und er weiß das“. Die Kommission hat deshalb vorgeschlagen, Aufnahmen des Intimbereichs zu verpixeln. 

Vorschlag: kein Vollstrecken von kurzen Freiheitsstrafen

Diesen Menschen würde nicht geholfen, sondern sie würden nur verwahrt, so Manteuffel. Das Urteil der Kommission über die Versorgung von Gefangenen mit akuten und schweren psychiatrischen Krankheitsbildern, die unverzüglicher stationärer Versorgung bedürfen, fiel entsprechend hart aus: „strukturell und quantitativ völlig unzureichend“. Das seien in vielen Einzelfällen medizin- und rechtsethisch nicht zu verantwortende Zustände.

Die Forderungen der Kommission sind ebenso klar: Die stationären Kapazitäten müssen auf 160 Betten aufgestockt werden, davon mindes­tens 80 Akutbehandlungsplätze. Bis dahin sollten auch die Krankenhäuser des Maßregelvollzugs in die Versorgung einbezogen werden. Zur akuten Entlastung schlägt die Kommission auch vor, bei psychisch kranken und gestörten Verurteilten mit kurzen Freiheitsstrafen oder Ersatzfreiheitsstrafen für Geldstrafen auf die Vollstreckung zu verzichten. Der Minister versprach die Prüfung dieses Vorschlags.

Medical-Tribune-Bericht

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