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Zu nett für die Revolte?

Aus der Redaktion Autor: Maria Fett

© MT
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Notstand in der Pflege: Trotzdem geht hierzulande kaum jemand für seine Rechte auf die Straße. Doch woran liegt's? Unser Kommentar aus der Redaktion geht den Ursachen auf den Grund.

Pflegekräfte streiken landesweit! Mehr als 37 000 Krankenschwestern, Pfleger und Hebammen treibt es auf die Straße. Allein an einem Tag müssen über 50 000 Konsultationen in 240 Kliniken und Praxen gestrichen werden. Und das Beste: Es schließen sich immer mehr Altenpfleger an. Angesichts dieser Dimensionen kann ich nur die Faust in die Luft recken und rufen: Endlich! Endlich erheben sie sich und treten für ihre Rechte ein! Noch besser wäre es aber, wenn sie auch hierzulande auf die Straße gingen, nicht nur in Irland.

In deutschen Altenheimen herrscht Notstand, praktisch permanent. Zu viele Patienten, zu wenig Zeit, von einer angemessenen Bezahlung und Wertschätzung hört man selten. Alltag ist, wenn zwei Pfleger bzw. Pflegerinnen auf 40 Bewohner kommen. Warum gehen sie angesichts dieser Missstände nicht endlich auf die Straße? Sind sie zu nett für eine Revolte? Ein landesweiter Streik wie Anfang Februar in Irland wäre wichtig. Aus mehreren Gründen wird das jedoch so schnell nicht passieren.

„Die Alten- und Krankenpflege steht noch immer in der Tradition eines wohltätigen Liebesdienstes“, sagte Professor Dr. Wolfgang Schroeder vom Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung. Dieses Denkmuster mache es schwer, Pflegejobs in „normale Arbeitsverhältnisse“ zu wandeln. In einer 2017 publizierten Studie befragte der Politikwissenschaftler 750 Altenpfleger. Fast 70 % von ihnen gaben an, ihre Arbeit werde von den Patienten honoriert. Dagegen fühlten sich nur 20 % von der Gesellschaft wertgeschätzt. Zu streiken bedeutete für 77 %, ihre Patienten im Stich zu lassen.

Leider sind – anders als in Irland – Pflegekräfte hierzulande kaum organisiert. Schätzungen besagen, dass nur 5–12 % von ihnen einer Gewerkschaft angehören. Nur eines von zehn privaten Pflegeheimen hat einen Betriebsrat. Weil die betriebliche Machtbasis fehlt, können die Gewerkschaften kaum etwas bewirken. Und so lange neun von zehn Altenpflegern den Staat und nicht sich selbst bzw. ihren Arbeitgeber in der Pflicht sehen, etwas an den gegenwärtigen Bedingungen zu ändern, bleibt der landesweite Streik eine Utopie.

Maria Fett
Medizinredakteurin Medical Tribune

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