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Arzttermine wie eine Pizza ordern?

Praxisführung , Praxismanagement Autor: Michael Reischmann

Applaus auf dem Podium und im Saal für AOK-Chef Dr. Christopher Hermann (3.v.r.), einem der „Väter der HzV“. Applaus auf dem Podium und im Saal für AOK-Chef Dr. Christopher Hermann (3.v.r.), einem der „Väter der HzV“. © Michael Reischmann
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Bringen die 116117-24/7-Terminservicestellen die nötige Patientensteuerung – oder bedienen sie nur eine Pizza-Lieferdienst-Mentalität, ohne ein reales Problem zu lösen? Auf dem Hausärztetag blieben die Einschätzungen von Politikerinnen, Ärzten und AOK-Chef konträr.

Etwa eine Mrd. Euro wird der Ausbau der KV-Terminservicestellen (TSS) zu Ersteinschätzungszen­tren inklusive der Honorare für die Arztleistungen bei den vermittelten Patienten kosten, schätzt der Chef der AOK Baden-Württemberg, Dr. Christopher Hermann. Aber haben wir wirklich ein Problem mit zu wenigen Facharztterminen?, fragt er.

Aufgrund der Hausarzt-/Facharztprogramme seiner Kasse weiß er: Bezogen auf eine Mio. Patienten wurden in der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) 1,2 Mio. unkoordinierte Facharztbesuche vermieden. Man sollte die Patienten also zunächst zum Hausarzt schicken. Der Hausärzteverband erklärt, dass 80 % der Patientenprobleme in den Hausarztpraxen abschließend behandelt werden. Und wenn ein Patient wirklich schnell zum Facharzt muss, hat die „alternative Regelversorgung“ der AOK dafür ein strukturiertes System, das TSS obsolet macht.

Servicestellen umrüsten – und schauen, was passiert

Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karin Maag, kennt allerdings die Klagen von GKV-Patienten, die lange auf Facharzttermine warten. Darum teilt sie nicht Dr. Hermanns Kritik, die Koalition fördere mit der 24/7-TSS nur die Haltung bei den Bürgern, dass man sich mit einem Anruf – wie Pizza per Boten – auch einen Arzttermin liefern lassen könne. Maag erwartet, dass Patienten durch die medizinische Ersteinschätzung am TSS-Telefon in die richtige Versorgungsebene geleitet werden und Klinikambulanzen entlastet werden. In einem Jahr könne man über erste Erfahrungen sprechen.

Maag verweist darauf, dass mit dem TSVG auch die HzV gestärkt wird. Die Kassen wurden verpflichtet, aus Einsparungen Boni an die HzV-Teilnehmer auszuschütten. Wie das umgesetzt wird, weiß noch niemand. Ulrich Weigeldt, Chef des Hausärzteverbandes, erwartet von den eher trägen Kassen und dem Bundesversicherungsamt keine einfache Lösung. Sinnvoll sei die TSVG-Regelung, dass ein gekündigter HzV-Vertrag so lange fortdauert, bis eine neue Vereinbarung getroffen ist.

Ja, wenn die SPD in der Regierung das Sagen hätte, dann wäre bei der hausarztzentrierten Patientensteuerung mehr möglich, meint die SPD-Bundestagsabgeordnete Heike Baehrens. Worauf sich ihre Koalitionskollegin Maag positioniert: „Ich kann mir kein verpflichtendes Primärarztsystem vorstellen.“ Das will der Hausarztverband auch nicht, er fordert den Ausbau des freiwilligen HzV-Systems. Weigeldt findet den Begriff „Primärarztsystem“ sogar gefährlich: Dabei denke mancher Funktionär auch an grundversorgende Fachärzte oder arztsubstituierende Physician Assistants.

Bezüglich der Zurückhaltung vieler Kassen bei der HzV spielt Maag den Ball an den AOK-Chef zurück: „Sie müssen in Ihrem Lager dafür sorgen, dass solche Verträge gemacht werden; das ist nicht unsere Aufgabe.“ Viel Zeit bleibt Dr. Hermann dafür nicht mehr. Altersbedingt endet sein AOK-Job Ende 2019. Die Haus­ärzte im Saal bedankten sich bei ihm als einem der „Väter der HzV“ mit stehenden Ovationen.

Quelle: 17. Baden-Württembergischer Hausärztetag

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