Spina bifida Behandlung kann schon im Mutterleib starten
Mit der Einführung der Folsäureprophylaxe für Schwangere und für Frauen mit Kinderwunsch ist die Inzidenz der Spina bifida deutlich zurückgegangen. Doch nach wie vor gehört die Verschlussstörung zusammen mit Down-Syndrom und den angeborenen Herzfehlern zu den drei häufigsten kongenitalen Fehlbildungen. Anders als im 19. Jahrhundert, als gerade einmal jedes fünfte Neugeborene mit diesem Defekt das Erwachsenenalter erreichte, ist dies dank verbesserter Operationstechniken heute eher die Regel als die Ausnahme. Und so kommt es, dass zumindest in den wohlhabenden Ländern die meisten Spina-bifida-Patienten im Erwachsenenalter sind, schreiben Dr. Bermans Iskandar von der Universität Wisconsin-Madison und Dr. Richard Finnell vom Baylor College of Medicine in Houston.
Ursache der kongenitalen Missbildung ist der unvollständige Verschluss des Neuralrohres in der 3. Schwangerschaftswoche. Das freiliegende Rückenmark wird dann nicht von Dura, Knochen, Muskeln und Haut bedeckt, was mit einem hohen Infektionsrisiko und Liquorverlust einhergeht. Auch durch die konsequente Folsäuregabe für alle Frauen im gebärfähigen Alter lässt sich der sogenannte offene Rücken nicht zur Gänze verhindern, heißt es in dem Übersichtsartikel. Etwa 30 % aller Fälle treten trotz Folsäuresupplementation auf.
Postnatale Bildgebung offenbart das ganze Ausmaß
Die neurologischen Symptome bei Geburt hängen von der Höhe der Spaltbildung ab. Bei einer sakralen Myelomeningozele kann die neurologische Untersuchung unauffällig verlaufen, bei weiter aufwärts gelegenen Läsionen drohen neurologisch bedingte Blasenstörungen und sensomotorische Ausfälle der unteren Extremitäten. Alle Neugeborenen mit Spina bifida müssen mittels Bildgebung intensiv untersucht werden, u.a. um einen Hydrozephalus erkennen zu können.
Der operative Verschluss des Neuralrohrdefektes sollte so früh wie möglich erfolgen, bestenfalls schon intrauterin. In der Management of Myelomeningocele Study (MOMS) konnte gezeigt werden, dass die Kinder nach Operation im Mutterleib eine verbesserte motorische Funktion der Beine aufweisen, berichten die beiden Experten. Zudem seien ein Hydrozephalus und Chiari-Typ-II-Malformationen dann seltener. Allerdings ist derzeit noch unklar, wie lange diese Vorteile anhalten und ob sich die Ergebnisse in der breiten Anwendung reproduzieren lassen.
Eine Verschlechterung der neurologischen Befunde sollte stets Anlass sein, chirurgisch korrigierbare Komplikationen wie Hydrozephalus, Chiari-Typ-II-Malformation oder Syringomyelie auszuschließen. Anlass für eine Operation können auch Harnwegsinfekte oder Obstipation sein, wenn diese die neurologische Symptomatik oder die Shuntfunktion verschlechtern.
Eine der Hauptursachen für neurologische Behinderung und Tod bei Kindern und Erwachsenen mit Neuralrohrdefekt ist ein Hydrozephalus. Die herkömmliche Behandlung ist ein ventrikulo-peritonealer Shunt, die allerdings schon im ersten Jahr in 30–40 % der Fälle versagt. Eine Alternative könnte die endoskopische Drittventrikulostomie in Kombination mit einer endoskopischen Choroid-Plexus-Kauterisation sein, berichten die Experten. Nach den Ergebnissen einer Studie aus Uganda werden 70 % der so Behandelten unabhängig vom Shunt.
Ältere Patienten scheinen vom Shunt weniger zu profitieren
Der Eingriff dürfte sich eher für kleine Kinder mit Spina bifida eignen, Erwachsene und ältere Patienten scheinen weniger zu profitieren. Somit müssen die meisten der Betroffenen weiter mit dem Shunt und den damit verbundenen Komplikationen leben. Auch eine Chiari-Malformation Typ II mit Vorfall der unteren Kleinhirnanteile in den Spinalkanal kann durch eine Shuntfehlfunktion mit erhöhtem intrakraniellem Druck bedingt sein.
Kinder mit Rückenmarksfehlbildung und ihre Eltern sind auf eine intensive, lebenslange Behandlung und Unterstützung angewiesen. Dafür ist die enge Zusammenarbeit von Ärzten und Therapeuten der unerschiedlichen Fachdisziplinen erforderlich. In der frühen Betreuung sorgen etwa Urologen dafür, dass es nicht durch neurogene Blasenstörungen zu Schäden an Nieren und Harnleitern kommt. Orthopäden und Physiotherapeuten kommt große Bedeutung bei der Behandlung von Fußdeformitäten, behindernden Kontrakturen und der häufigen Skoliose zu.
Darüber hinaus haben es die Betroffenen regelmäßig mit Hauterkrankungen wie etwa durch eine Latexallergie zu tun, mit Ernährungsproblemen, Adipositas, schlafbezogenen Atemstörungen und kognitiven Defiziten. Trotz aller therapeutischer Fortschritte leidet die Hälfte der betroffenen Kinder zudem an Stuhlinkontinenz; später kommen oft Störungen der sexuellen Funktion hinzu.
Die interdisziplinären spezialisierten Teams aus Ärzten, Pflegern und Therapeuten stehen aber oft nur für betroffene Kinder zur Verfügung, bemängeln Dr. Iskandar und Dr. Finnell. Für die große Zahl von Erwachsenen mit der Fehlbildung müssten dringend ebenfalls solche Strukturen geschaffen werden, um den problemlosen Übergang der Patienten in die Erwachsenenmedizin zu gewährleisten.
Quelle: Iskandar BJ, Finell RH. N Engl J Med 2022; 387: 444-450; DOI: 10.1056/NEJMra2116032