Neuroblastom Der Verlauf ist eine Bauchentscheidung
Neuroblastome können sich extrem unterschiedlich entwickeln. Manchmal bilden sie sich von allein zurück, in etwa der Hälfte der Fälle kann jedoch auch eine hochintensive Therapie das Wachstum nicht stoppen. Eine Studie vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und der Universität Köln zeigt nun, dass sich die Tumoren bereits im ersten Schwangerschaftsdrittel bilden und sich dort auch schon entscheidet, ob sie einen günstigen oder aggressiven Verlauf nehmen.1
Dafür hatten Dr. Verena Körber, DKFZ, und Kolleg:innen die 100 Genome von Neuroblastomen unterschiedlicher Stadien analysiert. Dabei fanden sie in 96 % der Proben Verluste oder Vervielfältigungen einzelner Abschnitte oder ganzer Chromosomen, die als mögliche Tumortreiber gelten. In etwa sieben von zehn Fällen traten weitere krebsrelevante Mutationen auf, wie Amplifikationen oder Deletionen.
Anhand der Häufigkeit neutraler Einzelnukleotidvarianten, wie sie auch in gesundem Gewebe regulär auftreten, stellten die Wissenschaftler:innen zudem fest, dass die Krebszellen aus einer gemeinsamen Vorläuferzelle hervorgegangen sein müssen – die grundlegenden chromosomalen Aberrationen jedoch eher, also in einer frühen Vorläuferzelle (ECA), entstanden sein dürften. Modellierungen ergaben, dass dies im ersten Trimester der Schwangerschaft passiert. Ein Zeitfenster, in dem Neuroblasten besonders proliferativ und daher anfällig für Aneuploidien sind.
Paradoxer Zusammenhang?
Dass schnelleres Wachstum eher für einen günstigen Verlauf spricht, mag paradox klingen. Die Autor:innen erklären das aber damit, dass hier keine weiteren relevanten Mutationen mehr stattfänden. „Außerdem werden sie aufgrund ihres frühen schnellen Wachstums in der Regel auch früher bei den Kindern erkannt“, erklärte PD Dr. Frank Westermann.2 Die anderen Tumoren durchlaufen dagegen offenbar eine komplexere und langwierigere Evolution, wodurch sie erst später bösartig werden, dann aber aggressiver wachsen und spät auffallen.
Auffällig: Neuroblastome, bei denen sich die gemeinsame Vorläuferzelle des Tumors gemäß der molekularen Uhr schon innerhalb kurzer Zeit aus der ECA entwickelte, waren fast ausschließlich den Stadien 1, 2 und 4S zuzuordnen. Sie hatten damit eine günstige Prognose. Zudem wiesen sie überwiegend Zugewinne ganzer Chromosomen auf.
Demgegenüber verging im Falle von aggressiveren Tumoren mehr Zeit bis zum Auftreten der späteren gemeinsamen Vorläuferzelle, und v.a. die Chromosomenarme waren verändert. Die Trennung dieser beiden Kategorien zeigte sich auch im Langzeitüberleben, das in der Gruppe der früh wachsenden Neuroblastome im Zehnjahreszeitraum signifikant höher lag als bei Patient:innen mit spätem Beginn des Krebswachstums. Derzeit arbeitet das Forschungsteam daran, die Tumorevolution als zuverlässigen Biomarker zu etablieren. Im Idealfall dauere es nach Probenentnahme nur etwa drei Wochen, um eine individuelle Therapieempfehlung geben zu können.
Quellen:
1. Körber V et al. Nature Genetics 2023; 55: 619-630; DOI: 10.1038/s41588-023-01332-y
2. Deutsches Krebsforschungszentrum, Pressemitteilung Nr. 18 vom 27.03.2023