AU am Labortag: Gefälligkeiten machen uns zu Komplizen
Es gibt viele Interessen: Es gibt ein Individualinteresse, es gibt ein Kollektivinteresse, es gibt Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen. Es gibt schützenswerte Interessen und weniger schützenswerte. Es gibt auch schädliche Interessen.
Als Betriebsarzt in einem mittelständischem Familienunternehmen habe ich gelernt, die verschiedenen Interessen miteinander im Lot zu halten: Den schicksalhaft Krankgewordenen kann ich genauso überzeugend der Geschäftsleitung gegenüber vertreten wie das Mitarbeiterkollektiv oder das Unternehmen als Ganzes dem Einzelnen gegenüber, etwa wenn dieser es sich allzu deutlich in seiner „sozialen Hängematte“ gemütlich machen möchte. Ab und an erlebe ich allerdings Kollegen, die mit ihrem Verhalten diese labile Gemengelage in Turbulenzen bringen.
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Mein jüngster Fall:
Der Mitarbeiter hat einen Blutabnahmetermin beim Hausarzt, klassisch, gleich morgens zu Beginn seiner Schicht. Der Arbeitgeber wird informiert und gibt für den Termin frei: „Kommst halt dann später zur Arbeit, wenn´d fertig bist.“
„Ja nein, dann bleib ich den ganzen Tag zu Hause.“
„Gerne, das macht dann halt einen Tag Urlaub.“ Soweit der Dialog zwischen den beiden. Zwei Tage später reicht der Mitarbeiter eine offizielle Krankmeldung des Hausarztes exakt für den Labortag ein. Er ist schon wieder gesund: Die „Blutabnahme“ ist gut ausgeheilt und er kann wieder arbeiten.
Die Krankmeldung ist laut Definition die Bescheinigung einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit per Augenschein und Urteil des Arztes und nichts anderes.
Tun wir Ärzte uns mit solchen Gefälligkeiten aber wirklich einen Gefallen – oder sind wir nicht fahrlässig oder womöglich schon vorsätzlich dabei, unser labiles öffentliches Ansehen zu verspielen?
Dr. Peter Ruf
Arzt für Allgemeinmedizin, Betriebsmedizin Kappelrodeck