Kollege mit Sarazenendolch und eine Fistel aus dem 2. Weltkrieg

Autor: Michael Waldeck

In einer nunmehr 23-jährigen Tätigkeit als niedergelassener Chir­urg erlebt man doch immer wieder besondere Situationen, sei es im Kontakt mit Patienten oder bei Operationen, die sich einprägen und an die man sich immer wieder erinnert.

In meinem Umfeld gab es vor vielen Jahren einen Kollegen, der kollegial, hilfsbereit und freundlich war, aber auch als etwas sonderbar galt. Seine Praxisräume lagen innerhalb seiner Wohnung. Patienten erzählten, es gebe keine direkte Trennung. Der Kollege würde auch im Garten zwei Ziegen halten, die gelegentlich durch Wohnung und Praxis spazierten.

Der Kollege mit dem Sarazenendolch

Eines Tages rief mich dieser Kollege mittags an, er müsse mir unbedingt etwas mitteilen. Ich verabredete mich mit ihm nach Ende der Sprechstunden gegen 18 Uhr in meiner Praxis. Als er eintraf, trug er eine Plastiktüte bei sich, aus der eine Art Sarazenendolch herausschaute. Ein Dolch, wie man ihn vermutlich in Touristenshops arabischer Länder erstehen kann, aber allem Anschein nach durchaus als Waffe verwendbar.

Nach freundlicher Begrüßung und dem üblichen Small Talk berichtete er mir von einer fremden Macht – einem Geheimdienst, der ihn bedrohe und ihn zwinge, seine Gliedmaßen zu verdrehen. Ich müsse dies auf das Genaueste dokumentieren, weil ihm sonst ja keiner glauben würde. Seinen Sarazenendolch hielt er in seiner Plastiktüte fest bei sich.

Meine Mitarbeiterinnen verabschiedeten sich derweil in den Feierabend und ließen mich mit dem Kollegen allein in der Praxis. Immer mehr erzählte er mir von der Bedrohung durch den vermeintlichen Geheimdienst, immer eindringlicher bestand er auf einer Dokumentation durch mich, wobei er mir gleich­zeitig auch immer näher rückte. Ich sah mich schon mit dem Dolch im Bauch auf dem Boden liegend und mein kleines Chirurgenleben aushauchend. Ich beruhigte ihn und bestätigte ihm, ich würde alles genauestens aufschreiben.

Plötzlich sagte er, er müsse mir genau zeigen, was passieren würde, wenn der Geheimdienst käme. Er zog sich zu meiner Überraschung splitterfasernackt aus, setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und nahm einen Fuß in die Hand. Diesen verdrehte er in alle möglichen Richtungen und erklärte mir, dies würde dann jedes Mal spontan geschehen. Seine Beine und Füße würden sich dann von ganz allein in dieser Art verdrehen.

Zum Glück lag der Dolch jetzt weit genug entfernt. Ich bestätigte ihm die Wahrheit seiner Aussagen immer wieder und konnte ihn durch die Zusage der wahrheitsgetreuen Dokumentation beruhigen. Genauso plötzlich, wie er sich ausgezogen hatte, zog er sich daraufhin wieder an, bedankte sich kurz, nahm seinen Sarazenendolch, drehte sich um und verließ meine Praxis.

Der geneigte Leser kann sich vorstellen, dass ich erst einmal tief durchgeschnauft habe. Am Folgetag forschte ich ein wenig nach und erfuhr, dass seine Praxis schon seit einigen Wochen geschlossen war. Von dem Kollegen habe ich nie wieder etwas gehört.

Riskantes Ausschneiden einer alten Fisteleiterung

Eine ganz andere besonders einprägsame Begebenheit ist fachlicher Natur. Sie ereignete sich kurz nach meiner Niederlassung als Chirurg. Es kam eine ältere Patientin zu mir und berichtete mir von den Folgen einer Schussverletzung aus dem Zweiten Weltkrieg am rechten Oberschenkel. Seitdem habe sie dort eine Fisteleiterung. Die Kugel sei damals entfernt worden, doch verschiedene Chirurgen hätten sich nicht an die Fistel herangetraut.

Bei der Untersuchung fand sich an der rechten Oberschenkelinnenseite eine zirka drei Millimeter große Fistelöffnung mit entzündlichem Ringwall. Ich veranlasste eine Röntgenuntersuchung mit Kontrastmittelfüllung. Die Fistel war etwa drei bis vier Zentimeter lang, ein Fremdkörper war auch mit Kontrastmittel nicht darstellbar.

In meinem Übermut erklärte ich ihr, es sei kein Problem, die Fistel auszuschneiden – ich könne auch gar nicht verstehen, warum da keiner meiner Kollegen heranwolle. Gesagt, getan: Wir vereinbarten einen Op.-Termin. Am Operationstag färbte ich erst einmal in Lokalanästhesie die Fistel mit Methylenblau an, umschnitt die Fistelöffnung und präparierte dann zirkulär die Fistel in die Tiefe. Dies gelang auch unproblematisch.

Bei der Präparation hatte ich den freigelegten Fistelanteil zur Erleichterung der Präparation immer weiter nach außen gezogen. Nach etwa vier Zentimetern hatte ich den Eindruck, am Fuß der Fistel angekommen zu sein, und setzte das Exzisat von einer bläulich-livide schimmernden Basis ab. Die Fistel war nun draußen. Zur Kontrolle setzte ich nochmals die Langenbeck-Häkchen ein, schaute an die Basis – und bekam einen gewaltigen Schreck: Kräftig pulsierend lag die Wandung der Arteria femoralis in der Tiefe.

Auch in diesem Fall atmete ich erstmal tief durch. Nicht auszudenken, wenn ich die Arterienwand angeschnitten hätte. In diesem Moment wurde mir klar, warum vorher kein Kollege an diesen Befund heranwollte. Aber es verlief alles gut, die Fistel war weg, die Wunde heilte gut, die Patientin war zufrieden. Seitdem erinnert mich ein Bild der Hobbymalerin an diesen Fall.


Quelle: Nachdruck aus Chirurgenmagazin 2016; 14: 46-47