"Lebensnotwendige medizinische Ersatzteile" für Kobane
Medical Tribune: Dr. Wilk, sie waren Ende 2014 in Nordsyrien, um für eine NGO, die medizinische und technische Unterstützung in Krisengebieten organisiert, die medizinische Versorgung in Rojava zu recherchieren. Im Frühsommer sind sie in die kurdische Region in Nordsyrien, die im Süden an den Herrschaftsbereich des IS grenzt, zurückgekehrt, um dort zwei Wochen als Arzt in der Notfallversorgung zu arbeiten.
Dr. Michael Wilk: Cesire ist der östliche der Kantone des Gebietes Rojava in Nordsyrien bzw. Kurdistan und wurde in der Zeit der Auseinandersetzungen zwischen dem Assad-Regime und der Al-Nusra-Front, also der IS, in erster Linie von kurdischen Kräften organisatorisch übernommen und verteidigt. Die medizinische Recherche, die ich im Auftrag der NGO PHNX durchgeführt hatte, zeigte einerseits die beeindruckenden Bemühungen der neuen gesellschaftlichen Strukturen, die medizinische Versorgung der über 2 Millionen Einwohner unter Kriegsbedingungen hinzubekommen. Speziell die Leistungen des kurdischen Roten Halbmonds – einer unabhängigen und selbstorganisierten Organisation - müssen in diesem Zusammenhang positiv benannt werden. Andererseits waren aber natürlich auch die eklatanten Mängel und die dramatischen Auswirkungen des Krieges auf die gesundheitliche Versorgungslage sichtbar.
Bei diesem Aufenthalt ist es uns gelungen, eine detaillierte Liste von benötigten Materialien und Fachkräften zu erstellen. In der Folge reiste zum Beispiel ein Team von PhysiotherapeutInnen in das Gebiet, um Schulungen von Pflegekräften durchzuführen. Ebenso folgten Rettungsassistenten und ÄrztInnen, die vor Ort ausbildend und unterstützend intervenierten. Ich selbst habe im April 2015 zwei Wochen als Notarzt in dem zu diesem Zeitpunkt frontnahen Krankenhaus in Serekaniye, einer Stadt mit ca 70000 BewohnerInnen, gearbeitet.
Medical Tribune: Was ist das Ziel Ihrer aktuellen Reise?
Dr. Michael Wilk: Ich möchte dringend benötigte Ersatzteile von zwei schon seit längerem funktionsunfähigen Dialysegeräten nach Derik, einer Stadt an der Grenze des Irak, zu bringen. Da die Verschickung quasi unmöglich ist, werde ich die Ersatzteile der künstlichen Nieren, die freundlicherweise von der Firma Fresenius gespendet wurden, selbst transportieren. Ich werde diesmal nicht über den Nordirak (Erbil), sondern über die Türkei in das inzwischen freigekämpfte und an Cesire angeschlossene Kobane anreisen. Ich hoffe, dass das gelingt, angesichts der jüngsten verschärften Situation. Die aktuelle Fahrt erfolgt, wie die vorherigen auch, in Zusammenarbeit mit PHNX und vor Ort werde ich vom kurdischen roten Halbmond unterstützt.
Anmerken möchte ich, dass mir nicht nur die Unterstützung der notleidenden Bevölkerung ein Herzensanliegen ist, sondern dass es mir auch um die Thematik geht „Fluchtursachen vor Ort bekämpfen“. Kein Mensch flieht freiwillig - mit meiner Initiative versuche einen kleinen Betrag zu leisten, dass die Menschen in ihren Ländern leben können. Davon unberührt bleibt, dass die Aufnahme von Menschen, die jetzt aus ihren Ländern fliehen müssen, in sicheren Ländern wie unserem eine Selbstverständlichkeit sein muss.
Das Interview wurde geführt von MT-Redakteurin Anouschka Wasner