Stirbt bald jeder zehnte Patient von Ärztehand?

Autor: Dr. Stefanie Kronenberger, Foto: fotolia, Photographee.eu

Sterbehilfe wegen Lebensüberdrüssigkeit? Aktuellen Zahlen aus einer „Lebensendeklinik“ in Holland und Euthanasieraten in Belgien zeigen Entwicklungen, die bei Kritikern große Besorgnis auslösen.

Seit 2012 besteht in Holland die „Levenseindekliniek“ (Lebenendeklinik) für Menschen, deren Wunsch nach aktiver Sterbehilfe von anderen Ärzten nicht entsprochen wurde. Dort prüfen die Mediziner den Antrag erneut.


Im ersten Jahr nach der Klinikgründung baten 645 Menschen um Sterbehilfe, 162 davon bekamen ihren Wunsch erfüllt, 300 Menschen nicht. Ungefähr ein Fünftel der Personen verstarb, bevor eine Entscheidung gefallen war und 59 Menschen zogen ihren Antrag zurück, berichten Marianne C. Snijdewind und ihre Kollegen von der Universität Amsterdam.1


Am häufigsten erhielten Patienten mit körperlichen Erkrankungen (113 von 344) und kognitiven Beeinträchtigungen (21 von 56) eine Zusage. Psychologische Leiden als Begründung wurden in 5 % der Fälle bewilligt. Mit dem Argument, lebensmüde zu sein, erreichten 11 von 40 Antragstellern die Zustimmung für den assistierten Freitod.

Über 80-Jährige und Heimbewohner fragen an

In einer anderen Untersuchung verglichen belgische Forscher die Euthanasieraten in Flandern von 2013 mit denen sechs Jahre zuvor.2 Sie registrierten einen Anstieg von 1,9 % auf 4,6 %. Bemerkenswert finden Sigrid Dierickx von der End of Life Care Research Group in Brüssel und ihre Kollegen einerseits, dass 2013 die Euthanasieanfragen stiegen (5,9 % vs. 3,4 %), andererseits gab man diesen auch insgesamt häufiger statt (76,7 % vs. 55,4 %). Auch beob­achteten sie einen größeren Anteil an bewilligten Anfragen von über 80-Jährigen (75,4 % vs. 38,1 %) und Heimbewohnern (68,2 % vs. 22,9 %).


Dr. Bennon H Lerner und Dr. Arthur L. Caplan aus New York sehen in ihrem Kommentar die holländischen Ergebnisse mit Sorge.3 Vor allem das Symptom Lebensmüdigkeit, welches in zunehmendem Maße als (Mit-)Begründung angegeben wurde, kann ihrer Meinung nach kein Grund für die Sterbehilfe sein.


Wenn Alter oder Einsamkeit mit Leiden gleichgesetzt werden, biete der Tod wohl schwerlich den besten Lösungsansatz, postulieren die Kollegen. Auch die Zahlen aus Belgien, vor allem die Steigerung von ca. 2 % auf 4,6 %, halten sie für bedenklich. Was tun, wenn die Entwicklung so weitergeht und bald jeder zehnte Patient von Medizinern assistiert stirbt? Laut den Autoren müssen Ärzte in erster Linie Heiler bleiben. Euthanasie sei die falsche Antwort auf Einsamkeit und Gebrechlichkeit.


Quelle:
1. Marianne C. Snijdewind et al., JAMA Intern Med 2015; doi:10.1001/jamainternmed.2015.3978
2. Sigrid Dierickx et al., a.a.O.
3. Barron H. Lerner et al., a. a. O.