Landarzt Dr. Conrad will aussteigen
Beim Hausärzteverband Hessen hat die Nachfolge im Amt des Vorsitzenden wie geplant geklappt. Der Delegiertenjob in den Vertreterversammlungen von KV und KBV endet mit der Wahlperiode (2016).
Doch bei der Praxis wird der Ausstieg für Dr. Conrad nur dank der familiären Konstellation machbar sein. Er vermisst kurzfristige Lösungen für das Landarztproblem; Blockaden steckten auch im Zulassungssystem.
Seit 1983 führt der Allgemeinarzt eine Einzelpraxis im hessischen Neuental, einer 3000-Einwohner-Gemeinde, 30 Autobahnminuten von Kassel entfernt, wo der Kollege mittlerweile wohnt. Felder, Fachwerkhäuser, freie Straßen und ältere Menschen prägen das Bild im Schwalm-Eder-Kreis, wo laut Bedarfsplan nur eine halbe Hausarztstelle unbesetzt ist. Neuental selbst wirkt mit drei Hausärzten gar überversorgt. Dr. Conrad rechnet pro Quartal rund 1400 Scheine ab.
In eigener Praxis flexibler als im Job an der Klinik
Doch die Situation ändert sich. Ein Kollege will zum Jahresende aufhören; ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Der andere Kollege ist nur wenige Jahre jünger als Dr. Conrad.
Wer behandelt also künftig die Menschen vor Ort? Dr. Conrad hat dafür seine Schwiegertochter Amöne Meyer-Ruediger im Auge. Die Internistin und zweifache Mutter wohnt nur wenige Kilometer von der Praxis entfernt. Eigentlich hatte sie nicht vor, ihren Klinikjob aufzugeben. Doch ihr Schwiegervater überzeugte sie, dass eine Praxistätigkeit mehr Planbarkeit und Flexibilität bietet als der Dienst im Krankenhaus. Und Notfalleinsätze sind seit der Bereitschaftsdienstreform auch keine übermäßige Belastung mehr.
Urlaubsvertretung – ja; weiter malochen – nein
Hatte Dr. Conrad früher alle fünf Wochen von Freitag bis Montag bereit zu sein, ermöglicht es seit einem Jahr die Notdienstzentrale in Fritzlar, dass ein Arzt jetzt nur noch fünf, sechs Mal im Jahr ranmuss. Also hat Amöne Meyer-Ruediger den Sprung gewagt und absolviert eine zweijährige allgemeinmedizinische Weiterbildung in Dr. Conrads Praxis. Wichtig sind dabei insbesondere die betrieblichen Feinheiten und Kniffe. Dr. Conrads Plan ist, die Ärztin fit zu machen, damit sie die Praxis alleine fortführt. Dann könnte er sich auf „Hotline“- und familiäre Hilfsdienste sowie Urlaubsvertretungen beschränken.
MVZ: zu teuer, ineffektiv und problematisch
Seine ursprüngliche Absicht, die neue Möglichkeit eines fachgleichen MVZ zu nutzen, in dem seine Schwiegertochter und eine weitere Ärztin tätig werden, hat er aufgegeben. Zum einen, weil die zweite Ärztin abgesprungen ist. Zum andern, weil der erwünschte Ausstieg damit nicht verbunden wäre.
Zwar könnte er eine Ein-Personen-GmbH gründen, seinen Arztsitz ins Medizinische Versorgungszentrum einbringen sowie dort als ärztlicher Leiter und Geschäftsführer fungieren – aber kann Amöne Meyer-Ruediger dies mit den Praxiseinnahmen finanzieren?
Oder sie beide arbeiten jeweils auf einem halben MVZ-Sitz – haben dann aber zu zweit nur das Budget eines Arztes. Ein Verkauf des Vertragsarztsitzes ohne nachfolgende Angestelltentätigkeit im MVZ ist nicht möglich. Am Weiterarbeiten, zu dem er nach dem Zulassungsrecht verpflichtet wäre, ist Dr. Conrad aber gerade nicht gelegen: „Irgendwann ist es genug. Man sollte sich nicht so wichtig nehmen.“
Nach Abwägung der finanziellen, steuerlichen und organisatorischen Aspekte kommt der Hausarzt zu dem Schluss: Eine MVZ-Gründung ist in seinem Fall „zu teuer, ineffektiv und viel zu problematisch“. In der Stadt, wo junge Ärzte nach einer Anstellung suchen, mag das Hausarzt-MVZ funktionieren, auf dem Land sei es „als Übergangsgemeinschaft uninteressant“, meint Dr. Conrad.
Die Zukunft: Einrichtungen der KV oder von Kommunen?
Gäbe es bei ihm nicht die familiäre Konstellation, müsste er „die Praxis in die Tonne kloppen“. So gehe es leider vielen Landärzten, die in den Ruhestand wechseln wollen.
Zwar zeigten die Anstrengungen von Politik, KVen, Kammern und Verbänden erste Wirkung, beispielsweise wachse das Interesse der Medizinstudenten am Hausarztberuf. Doch bis die jungen Leute für die Versorgung und Praxisübernahmen in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen, vergehen noch zehn Jahre, sagt Dr. Conrad. Breit anwendbare Ad-hoc-Lösungen fehlten.
Vielleicht könnten künftig von Kommunen oder der KV betriebene Einrichtungen eine Option sein, um die medizinische Versorgung der Landbevölkerung sicherzustellen. Die NäPa – im Sinne einer Dorfschwester – reiche dafür nicht.
Hoffnungsvoll schaut Dr. Conrad auf ein hyperrealistisch gemaltes Bild an der Wand seines Sprechzimmers. Zu sehen ist ein Arztkittel, der über die Rückenlehne eines alten Holzstuhls gespannt ist. Ein Foto von einem Gemälde, das selbst wie ein Foto wirkt. Für den Hausarzt, der gar keinen Kittel trägt, zeigt es das Ziel.