Praxisbesonderheiten bei Prüfverfahren vorstellen

Verordnungen Autor: Rechtsanwalt Rainer Kuhlen, Foto: thinkstock:

thinkstock thinkstock

Die Prüfgremien dürfen den Begriff "Praxisbesonderheiten" bei Wirtschaftlichkeits- oder Richtgrößenprüfungen nicht eingeschränkt auslegen.

Es ist gefestigte Rechtsprechung der Sozialgerichte, dass Ärzte gegenüber den Prüfgremien bei Wirtschaftlichkeits- oder Richtgrößenprüfverfahren umfangreich ihre Praxisbesonderheiten vorstellen und erläutern müssen. In einigen Bundesländern wurden in den letzten Jahren Praxisbesonderheiten jedoch oftmals nicht in den Bescheiden berücksichtigt.

So wurde z.B. Ärzten im Bereich der KV Nordrhein mitgeteilt, dass bei einem Facharzt für Allgemeinmedizin nur fachgruppenuntypische Erkrankungen, wie etwa die Verordnung von Augentropfen, als Praxisbesonderheit anerkannt werden können – vorausgesetzt, dass in diesem Bereich überhaupt Mehrkosten im Verhältnis zu der Vergleichsgruppe entstanden sind.

Die Prüfgremien verwiesen stets auf § 5 Abs. 4 der Richtgrößenvereinbarung. Demnach sind andere als die von Amtswegen zu beachtenden Praxisbesonderheiten nur dann zu berücksichtigen, wenn der Arzt nachweist, dass er der Art und der Anzahl nach besondere, von der Arztgruppentypik abweichende Erkrankungen behandelt hat und hierdurch notwendige Mehrkosten entstanden sind.

Zum Begriff "Praxisbesonderheit"

Die Prüfgremien legten diese Regelung einschränkend dahingehend aus, dass Mindestvoraussetzung für die Anerkennung einer Praxisbesonderheit sei, dass die behandelte Indikation nicht fachgruppentypisch wäre. Ein nur der Anzahl nach erhöhter Versorgungsbereich wurde per se nicht anerkannt, weil es an der Voraussetzung "der Art nach von der Arztgruppentypik abweichende Erkrankung" fehle.

Dieser Vorgehensweise schob das Landessozialgericht NRW mit dem Urteil vom 15.4.2015 (Az.: L 11 KA 116/13) einen Riegel vor. Es stellt klar, dass Vertragspartner in einer Richtgrößenvereinbarung die Rechtsmacht fehlt, den Begriff "Praxisbesonderheiten" abweichend von den durch die Rechtsprechung präzisierten Vorgaben des § 106 SGB V zu definieren. Denn mit nur untergesetzlichen Vorschriften kann der Inhalt des gesetzlichen Begriffs "Praxisbesonderheiten" nicht verändert, sondern lediglich klarstellend näher umschrieben werden.

Das Bundessozialgericht formulierte bereits 1993 (Az.: 6 R KA 6/93) zu Praxisbesonderheiten: "Vielmehr müssen die in Rede stehenden Leistungen entweder für die Arztpraxen der Vergleichsgruppe atypisch sein oder von ihrer Häufigkeit her so wesentlich über den Anteil in den Praxen der Vergleichsgruppe liegen, das allein ihre große Zahl im Ergebnis ein spezifisches Qualitätsmerkmal der betreffenden Arztpraxis darstellt."

Folglich können auch fachgruppentypische Leistungen als Praxisbesonder­heiten gewertet werden. Den Prüfgremien werden damit Grenzen aufgezeigt: Vom Gesetzgeber zugunsten des Arztes definierte Umstände, die einen Regress beseitigen oder zumindest minimieren, dürfen nicht durch untergesetzliche Regelungen zulasten des Arztes eingeschränkt werden.

Gegen Regressentscheidung Rechtsmittel einlegen!

Ärzte, die bei Richtgrößen- oder Wirtschaftlichkeitsprüfungen mit vergleichbaren Einschränkungen belastet wurden, sollten daher – unter Hinweis auf die Rechtsprechung des LSG – Rechtsmittel gegen Regressentscheidungen einlegen.


Quelle: Expertenkommentar