Masernwelle Allgemeinärzte gleich doppelt in der Pflicht

Kolumnen Autor: Raimund Schmid

Es ist schon paradox. In vielen Staaten dieser Welt schaffen es die dortigen Ärzte und Gesundheitspolitiker nicht annähernd, ausreichend hohe Impfraten zu erzielen, weil schlichtweg die Impfstoffe fehlen. So werden in Bosnien-Herzegowina nur Impfquoten von knapp über 50 % erzielt. Die Folge: Mehr als 2 000 Menschen haben sich in dieser Balkanregion mit dem Masernvirus infiziert. Von einer Gruppe aus dem Balkan wurde offenbar der verantwortliche Genotyp D8 nun auch in die deutsche Hauptstadt geschleppt. Dort konnte er sich insbesondere in den bekannt impfresistenten Berliner Gegenden ausbreiten. Bis Mitte April waren rund 1 000 Menschen an Masern erkrankt.

Angst vor Impfungen wird geschürt


Warum hat das Masernvirus auch die Berliner Bevölkerung erfasst, der ja grundsätzlich jeder Basisimpfstoff kostenfrei und jederzeit zur Verfügung steht? Dafür sind gleich mehrere Ursachen auszumachen:

  • Impf-Nebenwirkungen spielen in der veröffentlichten Meinung eine immens große Rolle. Fakt ist aber vielmehr, dass Immunisierungen die erfolgreichste Präventionsmaßnahme überhaupt sind und bisher wohl mehr Menschenleben gerettet haben als jede andere gesundheitspolitische Intervention.
  • Todesfälle werden immer wieder mit Impfungen assoziiert. Tatsache ist hingegen, dass bisher in keiner einzigen seriösen Studie eine Komplikation mit Todesfolge, die eindeutig einer Masernimpfung zugeordnet werden kann, nachgewiesen werden konnte.
  • Masernimpfungen können auch für das Auftreten von Autismus verantwortlich sein. Diese aus Großbritannien kolportierten Zusammenhänge sind eindeutig widerlegt, werden aber ständig von Impfgegnern benutzt.

Doch wie ist dieses Problem in den Griff zu kriegen? Drei nationale Impfkonferenzen und ein nationaler Impfplan sind ja bereits gescheitert. Mit schärferen Gesetzen könnte ein Teil der Bevölkerung sicher erreicht werden. Derzeit wäre sogar eine Impfpflicht vor der Aufnahme in Kindergärten oder Schulen mehrheitsfähig. Man darf daher sehr gespannt sein, ob im Präventionsgesetz am bisher vorgesehenen Passus „Die Überprüfung und Beratung in Bezug auf den Impfstatus wird … konkretisiert“ noch gefeilt wird. Und schließlich sollte Medizinern in allen KV-Bezirken erlaubt werden, alle Patienten – egal ob klein oder groß – bei jeder passenden Möglichkeit zu impfen. Gynäkologen also zum Beispiel auch die begleitenden Männer oder Pädiater auch Erwachsene. In Berlin ist dies jetzt erst durch die Masernwelle möglich, was zuvor undenkbar schien.

Ärzte sollten sich vorbildlich verhalten

Aber auch die (Allgemein)Ärzte und ihre Verbände sind gefordert. Zum Beispiel der Hausärzteverband, der sich erst spät zum Impfdebakel geäußert hat. Und nach einer Analyse des Betriebsärztlichen Dienstes der Uniklinik in Frankfurt/Main haben von den nach 1970 geborenen medizinisch Beschäftigten selbst nur 83 % eine Masernimmunität. Die Herdenimmunität greift indes erst ab 95 %. Allgemeinärzte – neben den Pädiatern die wichtigsten impfenden Mediziner – sollten also nicht nur bei ihren Patienten, sondern vor allem erst einmal bei sich selbst für eine ausreichende Masernimmunität sorgen. Diese Doppelstrategie wäre zwar nicht die Lösung des Problems, aber schon mal ein Anfang – mit Vorbildcharakter und entsprechend großer Signalwirkung, meint

Ihr

Raimund Schmid

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (8) Seite 32
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.