Multimedikation Bringt ARMIN endlich den Durchbruch?

Kolumnen , Gesundheitspolitik Autor: R. Schmid

Das Dilemma ist seit langem bekannt. Die Arzneimittelversorgung für die immer älter werdende, oft multimorbide Bevölkerung ist alles andere als patientengerecht. Vor allem die Versicherten, die mehrere Medikamente pro Tag schlucken müssen, sind vielfachen Gefahren ausgesetzt: Einnahmefehler, Wechselwirkungen, Adhärenzprobleme, fehlende Leitlinien oder auch unzureichendes Arzneimanagement.

Überforderte Ärzte

Alle bisherigen Ansätze, dieses Versorgungsproblem an der Wurzel zu packen, sind fehlgeschlagen. Die Ärzte sind überfordert, weil sie im Alltag weder in der Praxis noch in der Klinik die Zeit haben, das Arzneimittelkonto eines multimorbiden Patienten gründlich zu überprüfen und anzupassen. Bei den Hausärzten kommt hinzu, dass sie gar nicht wissen, was sich ihre Patienten so jeden Tag alles an Tabletten einwerfen und ob sie alles richtig dosiert und auch regelmäßig einnehmen. Die Apotheker sehen sich dem Dilemma ausgesetzt, in der Regel gar nicht das für den Patienten aus pharmazeutischer Sicht optimale Medikament aussuchen zu können, weil sie von Ausschluss-Verbotslisten, Rabattverträgen oder Aut-idem-Kreuzen drangsaliert werden.

Wahrlich keine guten Voraussetzungen also für multimorbide Patienten, die ja gerade auf die Fachkompetenz ihres Arztes oder Apothekers angewiesen sind.

Ärzte und Apotheker im gemeinsamen Modellboot

Doch nun soll dieses Dilemma endlich auch strukturell angepackt werden. Mit der „Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN)“ möchten die KVen in Sachsen und Thüringen, die dortigen Apothekerverbände und die AOK Plus ein ganzes Maßnahmenbündel auf den Weg bringen.

Ab Juli soll die Initiative ARMIN greifen, einschreiben kann man sich in den strukturierten Vertrag schon jetzt. Die Modellregionen scheinen gut gewählt zu sein, da in Sachsen und Thüringen bundesweit die meisten multimorbiden Patienten (300 000!) unter den 2,7 Millionen AOK Plus-Patienten leben, für die pro Jahr 1,53 Milliarden Euro an Arzneikosten anfallen.

Doch was dürfen sich alle Beteiligten von dem bisher als KBV/ABDA bekannten Modell erwarten, das auf fünf Jahre angelegt ist: eine sinnvoll aufgeteilte Wirkstoffverordnung, einen abgestimmten Medikationskatalog und ein gemeinsames Medikationsmanagement von Arzt und Apotheker. Mit Letzterem soll die Therapietreue und Einnahmesicherheit gerade der Patienten erhöht werden, die sich pro Tag fünf oder mehr Medikamente einverleiben müssen. Auch bei der Wirkstoffverordnung müssen Arzt und Pharmazeut Hand in Hand arbeiten. Der Arzt verordnet einen von rund 200 für die hausärztliche Versorgung relevanten Wirkstoffen, der Apotheker wählt dann das für den Patienten passende Präparat selbst aus. Und der Medikationskatalog erleichtert vor allem den Ärzten ihre Arbeit, weil er evidenzbasiert Standard- und Reservewirkstoffe für zunächst acht zentrale Indikationen der Grundversorgung auflistet. Die Positivliste lässt grüßen! Pro Jahr und Patient zahlt die AOK Plus den Ärzten und Apothekern je 157,50 €, zusätzlich zu den Investitionskosten für die Umstellung der Software.

Und was wird aus der Therapiefreiheit?

Also alles eitel Sonnenschein? Keinesfalls! Der Sächsische Hausärzteverband sieht die Therapiefreiheit des Arztes in Gefahr. Und die Ersatzkassen bleiben außen vor. Dennoch: Bei einem Marktanteil der AOK Plus von 47 % in beiden Ländern könnte man schon von einem Durchbruch sprechen, wenn das Projekt erfolgreich läuft. Darauf hofft zusammen mit allen multimorbiden Patienten

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (10) Seite 99
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.