Bundesgerichtshof entlastet Substitutionsärzte
Der Bundesgerichtshof hat die Verurteilung eines Arztes durch das Landgericht Augsburg aufgehoben (Beschluss vom 16.1.2014, Az.: 1 StR 389/13). Der Arzt hatte zwei drogenabhängigen Patienten Schmerzpflaster, die das Opiat Fentanyl enthielten, verschrieben.
Drogenabhängige verlangen häufig nach diesen Pflastern, um den darin enthaltenen Wirkstoff auszukochen und intravenös zu injizieren. Dies war dem erfahrenen Arzt auch bekannt. Dennoch verordnete er die Pflaster, als die Patienten ihn wegen vorgetäuschter orthopädischer Beschwerden konsultierten.
Eine eingehende Untersuchung nahm er in beiden Fällen nicht vor, insbesondere klärte er nicht ab, ob eine akute Abhängigkeit vorlag.
Fentanylpflaster: Missbrauch billigend in Kauf genommen?
Die Patienten kochten die Pflaster aus, injizierten die Lösungen und verstarben an Überdosen. Das LG Augsburg verurteilte den Arzt am 7.2.2013 u.a. wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und einem Berufsverbot von vier Jahren.
Nach Ansicht des Landgerichts hatte der Angeklagte die missbräuchliche Verwendung der Pflaster billigend in Kauf genommen. Daher sei ihm der Tod der Patienten zuzurechnen.
So geht’s nicht, rügte der Bundesgerichtshof und hob das Urteil auf. Grundsätzlich, so der BGH, sei es zwar richtig, dem behandelnden Arzt ein überlegenes Fachwissen zu unterstellen. Dies allein reiche aber für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht aus.
Vielmehr hätte das Landgericht sich einer eingehenden Prüfung der Eigenverantwortlichkeit der Abhängigen widmen müssen.
Substitutionsärzte - darauf sollte laut BGH geachtet werden
Der BGH hob einige Punkte hervor, die künftig zugunsten von Substitutionsärzten zu beachten sind: Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass Betäubungsmittel-Abhängige nicht zu eigenverantwortlichen Entscheidungen fähig sind. Vielmehr ist der konkrete Wissensstand des Patienten hinsichtlich der Risiken zu beachten.
Die Gefahr einer Überdosis ist langjährigen Suchtpatienten in der Regel bekannt. Wer sich in Kenntnis dieser Umstände selbst schädigt, trägt dafür auch die Verantwortung. Eine Strafbarkeit des behandelnden Arztes scheidet also aus.
Anders wäre dies möglicherweise, wenn der Arzt in Kenntnis einer akuten Intoxikation oder konsumbedingten schweren Persönlichkeitsstörung, also in Kenntnis von Umständen, die die Eigenverantwortlichkeit einschränken, Betäubungsmittel überlässt.
Doch auch dann wird künftig die Verurteilung wegen eines Vorsatzdeliktes nicht mehr so leicht zu begründen sein, wie vom LG Augsburg getan. Vorsätzlich handelt, wer die Schädigung des Patienten erkennt und billigend in Kauf nimmt, also sich damit abfindet.
Arzt ist grundsätzlich am Wohl des Patienten orientiert
Für Delikte, die aus dem Arzt-Patienten-Verhältnis resultieren, gilt nach Ansicht des BGH jedoch eine erhöhte Anforderung an vorsätzliches Handeln. Denn grundsätzlich sei der Arzt am Wohl des Patienten orientiert und finde sich gerade nicht mit einer Schädigung ab.
Davon sei sogar, so der BGH, bei medizinisch grob fehlerhaftem Verhalten des Arztes erst einmal auszugehen, was vorsätzliches Handeln ausschlösse.
Unter Anwendung dieser Maßstäbe bestätigte der BGH auch in einer anderen Entscheidung (Beschluss vom 28.1.2014, Az.:1 StR 494/13) ein Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 2.5.2013. Hier hatte der angeklagte Arzt an vier Patienten Methadon als Take-Home-Abgaben verschrieben.
Er hatte den Stoff aus dem Praxisbestand für mehrere Tage vordosiert zur eigenverantwortlichen Einnahme ausgehändigt. Dabei verstieß er gleich gegen mehrere Pflichten.
Denn weder die geforderte Ausnahmesituation war gegeben noch beachtete der Arzt Dosierungs-, Vergabe- noch Überwachungsvorschriften nach § 5 Betäubungsmittelverschreibungsverordnung. Einer seiner Patienten verstarb an einer Überdosis.
Verstoß gegen Btm-Gesetz, aber kein Tötungsdelikt
Der BGH bestätigte die Verurteilung des Arztes zu einer Geldstrafe (360 Tagessätze à 110 Euro) wegen unerlaubten Verschreibens von Betäubungsmitteln sowie ein fünfjähriges Berufsverbot als Substitutionsarzt.
Die Take-Home-Abgabe von Betäubungsmitteln unter Verstoß gegen Untersuchungs- und Überwachungspflichten ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 6 Betäubungsmittelgesetz strafbar. Vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung wurde der Arzt jedoch freigesprochen, da ihm der Todesfall aufgrund des eigenverantwortlichen Handelns des Patienten nicht zurechenbar sei.