Berufspolitik Die Basis ist aktiv

Kolumnen Autor: M. Konitzer

Seit der Honorar-Niederlage im Herbst 2012 scheint Ärzte-Deutschland vom KV-Mehltau überzogen. Ganz Deutschland? Nein, ein kleiner niedersächsischer Ort leistet Widerstand.

Kennt noch jemand die „Verdenstudie“ von 1977? Ältere erinnern sich: Es war ein Manifest hausärztlichen Wissenschafts- und Versorgungsanspruchs von Möhr/Haehn und Kossow. Letzterer mit der charakteristischen Silhouette des gallischen Kriegers, der einst in den Zaubertrank fiel, wurde später unverwechselbar in der Berufspolitik.

Vor zwei Jahren habe ich meine Stadtpraxis aufgegeben und mich landärztlich niedergelassen. Und im Februar 2013 besuchte ich nun erstmals den hausärztlichen Workshop in Verden. Dort treffe ich auf 25 Teilnehmer, überwiegend Kolleginnen und Kollegen über 50 Jahre, aber auch Youngsters unter 40. Es folgt eine ganz eigenständige Mischung aus Fortbildung und berufspolitischem Entscheidungsprozess.

Kollege Mühlenfeld aus Bremen belegt die Vorteile des TK-Vertrages authentisch mit eigenen Abrechnungsdaten. Kollege Scholten verbindet in „Rückenschmerzen“ DEGAM-Leitlinien mit komplementären Interventionsformen. Die Anwendung Bayesscher Wahrscheinlichkeitsregeln auf die Diagnostik und ihre Umsetzung in DEGAM-Zukunftspositionen führt zu heftigen Diskussionen über die Menge falsch positiver Befunde im hausärztlichen Screening. Dazu ein Kossow-Bonmot: „Ist die Bushaltestelle in der Rushhour schwarz vor Menschen, sagen wir auch nicht, oha, da hat aber die Zahl der Schwarzfahrer zugenommen, sondern da wollen halt viele transportiert werden.“ In offener Vorstandssitzung geht es kontrovers zu: Im Rahmen des Workshops wurde auch von weiteren Kollegen die Freigabe der Teilnahme am TK-Vertrag für interessierte Kollegen verlangt. Einzelne Kollegen wollen gegebenenfalls den Hausärzteverband (HÄV) verklagen.

Die Ablehnung der aktuellen KBV-Politik ist unmissverständlich: „Die Aufteilung in typische und atypische Hausärzte stiftet unnötig Unfrieden in der Hausärzteschaft. Der EBM-Entwurf löst keine vorhandenen Probleme, aber er schafft neue.“ Hausärztlich wird gefordert: „Sinnvoll ist die Stärkung der Hausarztpraxis und die Delegation von Leistungen an nichtärztliche MitarbeiterInnen in der Praxis, um Reibungsverluste, Redundanzen und Fehlbehandlungen zu vermeiden.“

Zehn Tage später berichtet Kollege Meyer aus der Vertreterversammlung der KV Niedersachsen an die Workshop-Teilnehmer: Über den TK-Vertrag wird mit KV und HÄV neu verhandelt. Bis auf Geriatrie- und Palliativziffern, fallbezogene hausärztliche Grundpauschale, Helferin-Hausbesuch-Ziffer werden alle EBM-Änderungen auf KVN-Beschluss zurückgestellt. Weiterhin hat die Vertreterversammlung einer kontaktunabhängigen Einschreib- und Dokumentations-Pauschale zugestimmt – ein zaghafter Einstieg ins Primärarztsystem?

Als berufspolitischer Zaungast kann ich da nur staunen: Die Basis ist berufspolitisch höchst aktiv – hausärztliches Bottom-up in regionaler Tradition.

Prof. Dr. med. Martin Konitzer
Facharzt für Allgemeinmedizin
29690 Schwarmstedt

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (7) Seite 3
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.