VERAH®-Boom Droht ein Bumerang?

Kolumnen Autor: Raimund Schmid

Es ist ein Boom, dessen Ende noch lange nicht in Sicht ist. Die Rede ist von der Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis (VERAH®). Bis Ende 2015 werden insgesamt 7.500 ausgebildet und zertifiziert sein.

Zu Recht kann Dr. Hans-Michael Mühlenfeld, Leiter des Instituts für hausärztliche Fortbildung (IhF), darauf stolz sein. Im Jahr 2016 sollen weitere 1.500 Zertifizierungen hinzukommen und 2017 dann die 10.000er-Marke durchbrochen werden. Für Mühlenfeld ist die VERAH® solch eine Erfolgsgeschichte, dass sie bald in keiner hausärztlichen Versorgungspraxis mehr fehlen sollte.

Unterstützung für den Hausarzt

Besonders wertvoll sind die qualifizierten Versorgungsassistentinnen, weil sie das Case- und Praxismanagement leisten und unter Anleitung der Hausärzte diese auch bei Hausbesuchen spürbar entlasten. Und all das leisten sie offenbar auch in ganz hervorragender Weise, wie bei der practica in Bad Orb deutlich wurde. Dabei stimmte der Eggenfelder Allgemeinmediziner und VERAH®-Prüfer Dr. Gerald Quitterer ein hohes Lied auf die VERAH® an. Ihr großer Wert liegt nicht nur darin, mit präventivem Handeln zum Beispiel bei Hausbesuchen Stürze und Frakturen zu vermeiden oder auch Störungen der Funktionsfähigkeit noch rechtzeitig zu erkennen. Ihre Arbeit beschränkt sich auch nicht nur darauf, alltagsrelevanten Defiziten wie Hörverlust oder Schlafstörungen auf die Schliche zu kommen. Und ihre Aufgaben enden schließlich längst nicht damit, den Medikamentenabusus aufzuspüren und dafür zu sorgen, dass mit einem Medikamentenplan mehr Ordnung in das Chaos einkehrt.

Spezieller Blick auf Patienten

Darüber hinaus hat die VERAH® auch Potenziale, die einzigartig sind. Zum Beispiel der spezielle Blick als Nicht-Medizinerin auf die Patienten, denen sie sich zudem auch mit ganz anderer Empathie widmen kann. Oder die Chance, „arztunterschwellige“ Informationen aufzunehmen und auszuwerten. Das sind Informationen, die in der Regel – z. B. im Falle einer Inkontinenz – mitunter gar nicht zum Arzt gelangen. Oder auch die Erhaltung der Lebensqualität, die bspw. durch Anleitung und Zuweisung von Aufgaben zu Hause erfolgen kann, mit der dann auch die Selbstbestimmung der Hausarzt-Patienten gestärkt und ihre Isolation aufgebrochen werden kann. Eine VERAH®, die schließlich dieses Wissen ihrem Arzt weiter trägt, kann wirklich als wahre Schatzkiste angesehen werden.

VERAH® als Case Managerin

Bei aller Euphorie darüber dürfen aber auch potenzielle Gefahren nicht ausgeblendet werden. Eine derart gestärkte VERAH® wird sich auf Dauer nicht weiter mit dem gleichen Gehalt wie bisher oder ein paar Brotsamen mehr abspeisen lassen. Zudem darf sich ein Hausarzt nicht zu sehr – etwa im Falle einer längeren Krankheit oder kurzfristigen Kündigung – von einer starken VERAH® allein abhängig machen lassen. Und die VERAH® sollte weit stärker als Case Managerin und weniger als eigentliche medizinische Fachkraft fungieren. Denn sonst könnten sich Politik und Kassen irgendwann mal die Frage stellen, wozu man die – deutlich teureren Hausärzte – überhaupt noch braucht. Dann könnte der Boom irgendwann zum Bumerang werden. Doch damit wäre wahrlich niemandem gedient, meint

Ihr

Raimund Schmid

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (20) Seite 32
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.