Hausärztetag in BY Ein Ringen ohne Ende um Hausarztvertrag?

Gesundheitspolitik Autor: Ingolf Dürr

Bayern war eines der ersten Bundesländer, in denen die Hausarztzentrierte Versorgung, kurz HzV, Erfolge feierte. Insbesondere der Hausärztevertrag mit der Landes-AOK hatte Maßstäbe gesetzt. Doch das ist lange her, und seitdem liegen der Bayerische Hausärzteverband (BHÄV) und die AOK Bayern in einem zähen Clinch miteinander um einen neuen Vertrag. Nach einem Schiedsverfahren schien die Lösung des Konflikts zum Greifen nahe, doch die Krankenkasse weigert sich hartnäckig, die Vereinbarung auch umzusetzen. Stattdessen setzt sie auf eine Verzögerungstaktik. Doch jetzt scheint auch die Bayerische Landesregierung mit ihrer Geduld am Ende zu sein, wie auf dem diesjährigen Bayerischen Hausärztetag in Würzburg deutlich wurde.

Eigentlich hatten sich die bayerischen Hausärzte in Würzburg treffen wollen, um dort das Inkrafttreten des neuen Hausarztvertrags mit der AOK zum 1. April 2015 gebührend zu feiern. Etliche Jahre hatten sie mit der Kasse hart darum gerungen. Erst zum Jahreswechsel 2014/2015 hatte ein Schiedsverfahren die beiden Streithähne einer Lösung scheinbar näher gebracht. Sowohl der BHÄV als auch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege als Aufsichtsbehörde hatten sich mit dem Schiedsspruch des ehemaligen Präsidenten des Landessozialgerichts Hessen, Dr. Klein, zufrieden gezeigt.

AOK klagt gegen Schiedsspruch

Doch aus dem reibungslosen Start in den neuen Hausarztvertrag wurde nichts, denn die AOK Bayern, mit 4,4 Millionen Versicherten die mit Abstand größte Krankenkasse im Freistaat, versucht seither mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern, dass der Vertrag in die Tat umgesetzt werden kann. So haben die Hausärzte auch Mitte April immer noch keine Unterlagen von der Kasse erhalten, mit denen sich neue Patienten in die HzV eintragen können.

Schon im März hatte die AOK erklärt, den neuen HzV-Vertrag nicht umsetzen zu können. Unter Vermittlung des Bayerischen Staatsministeriums hatten sich AOK und BHÄV deshalb noch einmal zusammengesetzt, um noch strittige Punkte aus dem Weg zu räumen. Diese Gespräche schienen erfolgreich verlaufen zu sein – dachte man beim BHÄV und wohl auch beim Landesgesundheitsministerium. Doch zur großen Überraschung erhob die AOK Anfang April Klage gegen den Schiedsspruch beim Sozialgericht München.

AOK: Hausarztvertrag ist zu teuer

Der Schiedsspruch ist nach Auffassung der AOK unter anderem deshalb rechtswidrig, weil die Schiedsperson es unterlassen habe, zentrale Vertragsbestandteile festzulegen. So sei völlig unklar, welche Leistungen der Hausärzte von der Vergütung erfasst sein sollen. Ein Vertrag, der zwar eine unbestimmte Zahlungspflicht vorsieht, aber nicht regelt, wofür diese Zahlung erfolgen soll, sei nicht umsetzbar, argumentierte die Kasse. Insbesondere sei wegen der kontaktabhängigen Pauschale mit einer Explosion der Einschreibungen zu rechnen, was die Ausgaben für die Kasse unkalkulierbar mache. „Ein rechtswidriger Schiedsspruch könne aber von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ohne gerichtliche Klärung nicht akzeptiert werden“, erläuterte die AOK ihren Standpunkt und erklärte gleichzeitig, dass diese Klage sich nicht gegen Hausärzte und die Hausarztzentrierte Versorgung an sich richten würde.

AOK bietet 10 % mehr

Ganz klar: Die AOK befürchtet, dass ihr die Kosten für den Hausarztvertrag über den Kopf wachsen könnten. Für einen eingeschriebenen HzV-Versicherten zahlt die AOK Bayern derzeit rund 85 Euro. Kurz vor dem Hausärztetag bot man dem BHÄV als Alternative an, die Zusatzhonorare der Hausärzte deutlich zu erhöhen. So sollten die aktuellen Ausgaben für die HzV um 10 % steigen. Diese Anhebung liege deutlich über dem Anstieg der Vergütung anderer Vertragspartner. Mit einer solchen kalkulierbaren Obergrenze beim Honorar könnte die Kasse offenbar leben und weist darauf hin, dass der Gesetzgeber die HzV nicht eingeführt habe, um das Einkommen der Hausärzte zu erhöhen, sondern um die Versorgung der Versicherten zu verbessern. Und für Letzteres müsse erst noch ein belastbarer Nachweis erbracht werden.

AOK treibt Verwirrspielchen

Dass eine solche Argumentation beim BHÄV nicht verfängt, ist wenig verwunderlich, sieht man sich doch ganz eindeutig im Recht. Mit ihrer Klage missachte die AOK Bayern nicht nur den geltenden HzV-Vertrag, sondern sie verwehre ihren Versicherten zudem das gesetzlich garantierte Recht auf eine besondere hausärztliche Versorgung. Mit dem von der AOK unterbreiteten Angebot einer Honorar-

anhebung um 10 % wolle die Kasse nur ihr „Verwirrspielchen“ fortsetzen, um ihren Verpflichtungen nicht nachkommen zu müssen. Darüber hinaus verwies der BHÄV darauf, dass – gemäß neuester Rechtsprechung – die Klage der AOK keine aufschiebende Wirkung habe (siehe Kasten).

Das war die Ausgangslage vor dem Hausärztetag, zu dem auch die Bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml eingeladen war. Von ihr als Vertreterin der Rechtsaufsicht erhoffte man sich eine eindeutige Rückenstärkung im Dauerkonflikt mit der AOK.

Hausärzte als Sündenbock für Beitragssatzsteigerung

Die nötigen Argumente dafür lieferte BHÄV-Vorsitzende Dr. Dieter Geis. Dass der neue Hausarztvertrag zu teuer werden würde, hält er für ein vorgeschobenes Argument. Der BHÄV habe sich in den monatelangen Verhandlungen immer kompromissbereit gezeigt. So habe man mit der AOK eine Honorar-Obergrenze von 85 Euro für die ersten 800 000 Patienten vereinbart. Sollten die Patientenzahlen höher sein, könne die Obergrenze gestaffelt bis auf 76 Euro sinken. Somit ergebe sich ein Durchschnittswert von 80 Euro, mit dem die AOK gut rechnen könne. Und selbst wenn der HzV-Vertrag tatsächlich „explodieren“ würde, werde man sich der Diskussion mit der AOK nicht verweigern, bot Geis an. Beim BHÄV glaubt man jedoch, dass die AOK in den Hausärzten nur einen Sündenbock suche, um ihren Versicherten eine baldige Beitragssteigerung zu erklären. Schon jetzt liegt der Beitragssatz der AOK in Bayern mit 15,5 % deutlich höher als bei AOKen in einigen anderen Bundesländern, wo er nur 14,9 % beträgt.

Klagen gegen HzV-Verträge haben keine aufschiebende Wirkung

Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat Ende März 2015 entschieden, dass es sich bei Schiedssprüchen zu Verträgen zur Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) nicht um Verwaltungsakte handelt und somit Klagen gegen HzV-Schiedssprüche keine aufschiebende Wirkung haben [Az.: B 6 KA 9/14 R]. Somit müssen zukünftig Schiedssprüche zu HzV-Verträgen ohne weitere Verzögerungen umgesetzt werden.
Ferner sollen laut BSG die durch Schiedsentscheidungen festgesetzten Vertragsinhalte nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar sein. Aufgrund des komplexen Regelwerks eines HzV-Vertrages können die Gerichte lediglich feststellen, ob und gegebenenfalls in welchen Punkten der durch Schiedsspruch festgesetzte Vertrag rechtswidrig ist, nicht aber den Vertrag neu festsetzen. Vielmehr sind die Vertragsparteien selbst in der Pflicht, die rechtswidrige(n) Regelung(en) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts durch rechtmäßige Regelungen zu ersetzen; wenn notwendig, im Wege eines erneuten Schiedsverfahrens.In der Vergangenheit war es immer wieder zu Unklarheiten gekommen, ob es sich bei einem Schiedsspruch um einen Verwaltungsakt oder eine Schlichtung handelt. Der Gesetzgeber hatte durch die Änderung des § 73b Abs. 4a SGB V im Rahmen des Versorgungsstrukturgesetzes bereits 2011 in der Gesetzesbegründung klargestellt, dass es sich bei Schiedssprüchen nicht um Verwaltungsakte, sondern um eine Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen handelt und entsprechende Klagen gegen die Schiedssprüche keine sog. aufschiebende Wirkung haben können. Dies hat das Bundessozialgericht jetzt ausdrücklich bestätigt. Der Deutsche Hausärzteverband (DHÄV) begrüßte das Urteil als einen wichtigen Schritt, um die Hausarztzentrierte Versorgung flächendeckend und ohne unnötige Verzögerungen umzusetzen.

Gesundheitspolitische Geisterfahrt stoppen

Zum Auftakt des Hausärztetages in Würzburg dankte Geis zunächst Ministerin Huml ausdrücklich für ihre bisherige Unterstützung. Sie sei immer nahe an den Hausärzten gewesen. Unter großem Beifall forderte er sie dann aber auch auf, dass sie als Vertreterin der Rechtsaufsicht nun baldmöglichst die AOK zur Räson rufe und so die „gesundheitspolitische Geisterfahrt“ der AOK Bayern umgehend gestoppt werde. Darüber hinaus brachte BHÄV-Chef Geis seine Hoffnung zum Ausdruck, dass es bei der AOK Bayern doch noch zum einem Wechsel kommen könne, wenn nicht bei der Führung, dann doch wenigstens bei der Haltung der Krankenkasse.

Ministerin Huml nahm diesen Faden ohne Umschweife sofort auf und zollte dem BHÄV ihre Anerkennung dafür, dass er sich in den Verhandlungen immer aufgeschlossen und verhandlungsbereit gezeigt habe. Sie stehe aus Überzeugung an der Seite der Hausärzte. Und auch im Hinblick auf die Nachwuchsförderung sei es wichtig, dass junge Ärzte sich darauf verlassen können, dass es die HzV auch in Zukunft noch gibt. Mit Blick auf die Probleme mit der AOK meinte sie, dass es ihr zwar lieber wäre, wenn die Selbstverwaltung möglichst alles selbst regelt. Sollte dies jedoch nicht klappen, dann müsse der Staat eingreifen, denn Recht müsse auch umgesetzt werden. Dafür erntete sie stürmischen Applaus seitens der Hausärzte.

Rechtsaufsicht greift ein

Huml verwies dabei auf einen weiteren Gesprächstermin mit der AOK und dem BHÄV wenige Tage nach dem Hausärztetag, den sie erst noch abwarten wolle. Sollte dieser jedoch nicht erfolgreich sein, werde sie ein bereits vorbereitetes Beratungsschreiben an die AOK Bayern senden, das dann der erste Schritt eines rechtsaufsichtlichen Verfahrens sei. Irgendwann habe auch ihre Geduld ein Ende. Noch hoffe sie aber auf eine Einigung. Diese Hoffnung zerplatzte dann allerdings recht rasch, denn auch in diesem letzten Spitzengespräch zeigte sich die AOK widerborstig. Sie werde nur einen Vertrag umsetzen, der in seinen finanziellen Auswirkungen deutlich kalkulierbarer ist. Der Dauerzwist zwischen BHÄV und AOK Bayern geht also in eine weitere Runde. Die Rechtsaufsicht hat sofort reagiert. Sollte die AOK Bayern weiterhin nicht zur Vernunft kommen, werde ein sogenannter Verpflichtungsbescheid folgen, also eine sofort vollziehbare Anweisung, den geschiedsten HzV-Vertrag umzusetzen. Das ist ein bisher einmaliger Schritt in der bayerischen Gesundheitspolitik. Dagegen wird die AOK dann wohl wieder klagen. Ein Ende ist noch nicht absehbar.

Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (9) Seite 40-42
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

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