EBM-Reform Ein Sommernachts-Alptraum

Kolumnen Autor: T. G. Schätzler

Auf der letzten Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) schlug deren Chef, Dr. Andreas Köhler, vor, den Versicherten künftig im Kollektivvertrag drei Wahltarife zur Auswahl zu stellen.

Wahltarif I überließe nach Köhlers Vorstellungen einem Versicherten die freie Wahl seines Hausarztes. Für jeden Gang zum Facharzt wäre eine Überweisung erforderlich. Andernfalls müsste das GKV-Mitglied die Behandlungen dort per Rechnung begleichen. Tarif II ließe einem Versicherten freie Haus- und Facharztwahl. Das Sachleistungsprinzip würde jedoch grundsätzlich nur für die hausärztliche Versorgung gelten. Für alle fachärztlichen Behandlungen wäre dann ausschließlich die Kostenerstattung vorgesehen. Tarif III gewährte ebenfalls freie Haus- und Facharztwahl. Die Behandlung wäre in beiden Gruppen auf Basis des Sachleistungsprinzips abzurechnen. Dafür wäre bei Versicherten, die dies in Anspruch nehmen wollten, ein Extra-Zusatzbeitrag bei ihrer Krankenkasse zu bezahlen.

Dieser Dreierpack-Tarif der KBV-Spitze ist allerdings der Gipfel Realität verleugnender Irrationalität. Im Wahltarif I blieben Hausärzte mit den Brosamen eines Regelleistungsvolumens pauschal abgestraft und budgetiert, während die Damen und Herren Fachärzte ohne Überweisung dicke Einzelfallabrechnungen produzieren und die Patienten trotz vorab eingezahlter GKV-Beiträge ein weiteres Mal Facharztrechnungen bezahlen dürften. Im Wahltarif II würde das billige Sachleistungsprinzip grundsätzlich nur für Hausärzte gelten, vulgo „Barfußmediziner“. Für Fachärzte gelte dagegen im rechtsfreien Raum auf jeden Fall die lukrative Kostenerstattung. Mit Einzelleistungsvergütung, versteht sich.

Und im Wahltarif III gäbe es eine freie Hausarzt- und Facharztwahl nach „Flatrate“-Manier. Diese Perversion des Sachleis-tungsprinzips, von KBV und Spitzenverband Bund der GKV eingebrockt und derzeit praktiziert, müssten Versicherte mit einem sozialgesetzbuchwidrigen, teuren Zusatzbeitrag bezahlen.

Das ist EBM-Reformtheater pur! Aufgeführt durch eine Schar von Laienschauspielern, die im Shakespeare‘schen Sommernachtstraum dilettieren: Oberon, der Elfenkönig, alias Dr. med. Andreas Köhler, befiehlt seinem Hofnarren Puck, alles, was bisher an EBM eingestielt wurde, wegen Fehlerhaftigkeit und Betriebsblindheit wieder rückgängig zu machen. Titania, die Elfenkönigin, alias Regina Feldmann, macht gute Miene zu bösem Spiel. Und die von der Vertragsärzteschaft geleistete, Krankheit abbildende Kodiertiefe nach ICD-10-GM, der daraus folgende Morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA), DMP- bzw. integrierte Versorgungs-(IV)-Boni und die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV) bleiben weitgehend unberücksichtigt. Denn sie fließen weiterhin zu 90 % in GKV-Kassen und Gesundheitsfonds und gehen nicht an die tatsächlichen Leistungserbringer.

Dr. med. Thomas Georg Schätzler
Facharzt für Allgemeinmedizin
44135 Dortmund

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (6) Seite 3
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.