Hausarztzentrierte Versorgung Es gibt noch Täler der Ahnungslosen
Nach nunmehr fast 10 Jahren HzV kann man eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass das Ganze Methode hat. Der Versicherte wird dabei gleich auf dreifache Weise angeschmiert. Zum einen werden ihm wichtige Informationen vorenthalten, zum anderen behindert diese Desinformation den Wettbewerb, der von rund drei Vierteln der Versicherten als prioritär angesehen wird. Und schließlich schießen sich die Kassen, die die Fahne der Qualität immer hochhalten, hier selbst ins Bein, weil gerade jüngere Versicherte (62 % der 18- bis 29-Jährigen) bereit wären, ihre Kasse zu wechseln, wenn diese besonders qualitätsgestützte Angebote unterbreitet.
Dass dies bei der HzV in weiten Teilen der Fall ist, belegen in jüngster Zeit auch zunehmend die Facharztverträge. Diese tragen dazu bei, dass die Patienten durch engere Absprachen mit dem Hausarzt besser und früher gefiltert werden und damit dem Facharzt mehr Zeit verbleibt, sich um die wirklich schwerwiegend kranken Patienten zu kümmern. Das tut er dann auch und kann es sich aufgrund der besseren Vergütung finanziell auch leisten. Die AOK Baden-Württemberg zahlt diese höhere Vergütung auch gerne, weil dadurch allein bei kardiologischen Patienten im Ländle 4.000 Krankenhauseinweisungen pro Jahr vermieden werden konnten. Bei den immer teureren Krankenhausaufenthalten kann da viel Geld eingespart werden.
Fesseln müssen gelockert werden
Doch davon kriegen Versicherte im abgelegenen Osten oder im hohen Norden unseres Landes nur wenig mit. Sie kennen den Kollektivvertrag und wissen nicht, dass sich gerade im Süden des Landes mittlerweile eine zweite Versorgungsebene fest etabliert hat. Solange die Kassen und zum Teil auch die KVen (mit fragwürdigen Bereinigungsverfahren zum Nachteil der eingeschriebenen HzV-Ärzte) diese Strategie ohne große Widerstände fortsetzen können, wird sich an diesem Ungleichgewicht nichts ändern. Daher sollte die neue Bundesregierung durchaus den Mut aufbringen, die Beteiligten, die den Wettbewerb blockieren und die damit ihre eigenen Qualitätsansprüche konterkarieren, spürbar zu sanktionieren. Erst das würde die Fesseln lockern, die manche Kassen und KVen sich selbst angelegt haben. Zwar könnte die Hoffnung trügerisch sein, damit spürbar mehr Versicherte in die Selektivverträge zu locken, weil Einschreibungen und Arztbindungen nicht jedermanns Sache ist. Aber es wäre schon gut, wenn sich jedermann in allen Bundesländern künftig – ausgestattet mit dem gleichen Wissen – frei entscheiden könnte, welche Versorgungsform er für sich wählen möchte. Die Zeit hierfür ist überreif, egal wie man zu Selektivverträgen und zur HzV steht, meint Ihr
Ihr
Raimund Schmid
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (16) Seite 40
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.