Leserclub Hausärztemangel: Die wahren Ursachen

Kolumnen Autor: U. Ibold

In der letzten Zeit nehmen die Berichte über den zunehmenden Hausärztemangel auf dem Land und vermehrt auch in den Städten zu. Nur wird nie über die wahren Ursachen dieser sich seit Jahren abzeichnenden Entwicklung berichtet. Stattdessen unternehmen die Kommunen und die Politik immer hilflosere Aktivitäten, um zu retten, was seit langem nicht mehr zu retten ist. Und wenn nichts mehr geht, dann muss man die Ärzte eben kaufen, dann werden sie schon kommen!

Allgemeinarzt ist „out“

Tatsache ist jedoch, dass der Beruf des Haus- bzw. Allgemeinarztes auf der Intensivstation liegt. In dieser hochspezialisierten Welt, in der die Kommunikation zunehmend übers Internet oder iPhone funktioniert, wo die Gesundheit gerade im jugendlichen Alter nicht mehr den Stellenwert hat wie früher, in der McDonald‘s Kult ist, passt ein „Facharzt“ für „Allgemein“-Medizin (der Name ist schon ein Widerspruch in sich) nicht mehr in diese Zeit. Immer beliebter dafür sind Berufe ohne direkten Menschenkontakt am Schreibtisch, mit geregelten Arbeitszeiten, ohne Nacht- und Wochenenddienst, ohne sich die Hände schmutzig zu machen, wo man von Anfang an mehr verdient und überdies noch bessere Aufstiegsmöglichkeiten hat.

Handlanger der Fachärzte

Im ärztlichen Bereich ist die Entwicklung ähnlich gelaufen. Die Ärzte träumen im Studium schon von Hightech-Praxen, mit denen noch viel Geld zu verdienen ist. Und das geht nur noch im Facharztbereich. Dort gibt es auch eine viel höhere Zahl an Privatpatienten, auf die man sich konzentrieren kann, wenn‘s mit den Kassenpatienten nicht mehr reicht. Im Zuge dieser Entwicklung hat der Hausarzt den Anschluss verloren. In der Einkommensskala liegt er mit Abstand auf dem letzten Platz. Er ist zum Handlanger der Fachärzte degeneriert und wird auch so bezahlt.

Alle technischen Untersuchungen wurden den Hausärzten ganz genommen oder so stark begrenzt, dass sich eine Geräteinvestition nicht mehr lohnt. Und dann wundert man sich, dass es kein junger Arzt mehr machen will.

Wertschätzung: Fehlanzeige

Die Zeiten, wo der Arzt neben dem Pfarrer und dem Bürgermeister der angesehenste Bürger im Dorf war, sind für immer vorbei. Die Zeiten aber, wo ein Arzt sich um den Patienten und dessen ganze Familie gekümmert hat (kümmern kommt von „Kummer“), sich Zeit genommen hat und immer zur Stelle war, wenn Not am Mann war, sind damit auch bald vorbei. Das sollte man nicht vergessen, auch die Politik nicht. Die Fachärzte sind so spezialisiert auf ihr Fach, dass sie keine Patienten, sondern nur noch Organe behandeln (der Orthopäde seine Knochen, der Augenarzt die Augen etc.). Der Mensch interessiert da nicht mehr oder ist nur Mittel zum Zweck. Der Hausarzt war die einzige Facharztgruppe, die den ganzen Menschen gesehen und behandelt hat. Laut Lippenbekenntnissen von Politik, Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen sollte der Hausarzt einmal der Lotse im Gesundheitswesen werden. Aber wirklich gewollt war das eigentlich nie, schon gar nicht von der starken Facharztlobby. Auch dieser Zug ist für immer abgefahren. Man sollte sich dabei immer klarmachen, wer die Zeche für diese gesteuerte Entwicklung bezahlt. Der Kassenpatient und vor allem der alte immobile Patient und am meisten der, der weit abgelegen auf dem Land wohnt.

Die jungen Kollegen jetzt mit Geld aufs Land zu locken halte ich für zynisch, den Kollegen, aber auch den Patienten gegenüber. Ich habe meinen Kindern von diesem Beruf abgeraten. Ich selbst habe vor zwei Jahren meine hausärztliche Tätigkeit vorzeitig (mit 61) frustriert, demotiviert und gesundheitlich angeschlagen eingestellt und viele ältere Kollegen spielen ebenfalls mit diesem Gedanken. Ohne Wertschätzung von außen ist dieser Beruf, der mal eine Berufung war, auf lange Sicht nicht durchführbar.


Autor:
Facharzt für Allgemeinmedizin
33332 Gütersloh

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (20) Seite 104
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.