Modell Physiotherapie Heilmittelerbringer machen mobil

Kolumnen Autor: R. Schmid

Das Modell ist ambitioniert und politisch brisant. Bis Ende 2015 will der Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten (IFK) gemeinsam mit der Krankenkasse BIG direct gesund (BIG) belegen, ob eine neue Aufgabenverteilung zwischen Vertragsärzten und den Physiotherapeuten sich positiv auf die Versorgungsqualität und die Kostenentwicklung auswirkt.

Das dürfte nicht allen Allgemeinärzten schmecken. Vor allem denen nicht, die fürchten, dass die Hausärzte immer mehr Patienten an andere Fachgruppen abgeben: die Kinder an die Pädiater, die Frauen an die Gynäkologen, die Männer an die Urologen. Und jetzt auch noch die Heilmittelerbringung an die Physiotherapeuten!

Mehr Autonomie für Physiotherapeuten

Erste Ergebnisse des bundesweit ersten Modellvorhabens nach § 63 Abs. 3b SGB V (Übertragung ärztlicher Tätigkeiten) liegen nun vor. Und diese passen von der Systematik auch genau in den Ende 2013 beschlossenen Koalitionsvertrag, in dem ja gefordert wird, dass Modellvorhaben zur Erprobung neuer Formen der Substitution ärztlicher Leistungen aufgelegt und evaluiert werden sollen.Damit machen nun 40 Modellpraxen in Westfalen-Lippe und Berlin ernst. Die Verordnungshoheit des Arztes steht bei den eingeschlossenen Diagnosegruppen WS1, WS2 (Wirbelsäulenerkrankungen), EX 1, EX2, EX3 (Verletzungen/Operationen und Erkrankungen der unteren Extremitäten und des Beckens) allerdings nicht zur Disposition. Dem Physiotherapeuten wird aber deutlich mehr Autonomie eingeräumt. Herausgefunden werden soll in der multizentrischen, randomisierten Interventionsstudie mit Kontrollgruppe, welche Auswirkungen die Bestimmung der Art des Heilmittels, die Frequenz pro Woche und die Dauer der Behandlungsserie durch den Physiotherapeuten auf die Versorgungsqualität sowie auf die Kostenentwicklung haben. Der Arzt stellt dabei zwar weiterhin das Rezept aus, unterliegt aber nicht mehr der Regressgefahr. Fazit bisher: Die Behandlungsergebnisse der „Modell-Patienten“ fallen besser aus als bei den Patienten aus der Kontrollgruppe. Positiv wirkt sich eine höhere Eigenständigkeit des Physiotherapeuten insbesondere auf die Schmerzzustände, aber auch auf die Beweglichkeit und die Funktionsfähigkeit des Patienten aus.

Dass dabei – wie vielleicht zu erwarten – Mehrkosten entstehen, hat sich bisher nicht bestätigt. Zu ähnlichen Erkenntnissen kommen auch 4 Studien aus den USA, in denen allerdings die Folgen des Direktzugangs zu den Physiotherapeuten untersucht wurden. Aus allen Erhebungen ging hervor, dass die Kosten geringer ausfallen, weil insgesamt weniger Behandlungen erfolgten und weniger bildgebende Verfahren, weniger Injektionen und weniger Medikamente zum Einsatz kamen.

Hausarztbudget wird entlastet

Kein Wunder, dass sich auch hierzulande 4 von 5 Physiotherapeuten im Einklang mit dem IFK den Direktzugang wünschen. Das könnte durchaus auch zum Vorteil der Hausärzte sein, die zeitlich entlastet und dauerhaft vom Budgetdruck befreit würden. Doch im Falle eines Direktzugangs müssten 3 weitere Voraussetzungen erfüllt werden. Die Heilmittelerbringer müssten dann auch die Budgetverantwortung übernehmen und ihrer Berichtspflicht gegenüber dem Hausarzt verbindlich nachkommen. Und der Gesetzgeber müsste die Lotsenfunktion des Hausarztes strukturell wie finanziell weiter stärken, meint Ihr

Raimund Schmid

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (2) Seite 34
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.