Gesundheitspolitik ohne Plan Längere Sprechstundenzeiten sind nicht die Lösung

Kolumnen Autor: Eckhard Starke

Ich bin beunruhigt und gleichzeitig entsetzt, dass die Politik offensichtlich jeden ordnungspolitischen Anspruch in der Gesundheitsversorgung aufgegeben zu haben scheint. Denn anstatt auf die offensichtlichen Ressourcenprobleme bei Ärzten und Psychotherapeuten endlich mit einer sinnvollen Steuerung der Patientenströme zu reagieren, lautet die Antwort der Politik schlicht: Weiter so und mehr davon!

Garniert wird dies mit einer Verlängerung der Mindestsprechzeiten pro Woche und dem mehr oder weniger unverhohlenen Vorwurf in Richtung unserer Berufsgruppen, wir müssten nur ein bisschen mehr arbeiten, um alle Versorgungsprobleme zu lösen. Was wir in der Gesundheitspolitik derzeit dringend brauchen, ist Ehrlichkeit. Ja, wir haben nach wie vor ein herausragendes Gesundheitswesen in Deutschland.

Aber dieses Gesundheitswesen ist aus der Balance geraten, weil die verantwortlichen Politiker offenbar glauben, sie könnten dieses System immer weiter ausquetschen. Doch wenn wir an dieser Stelle nicht sofort umsteuern, wird sich leider nur allzu schnell zeigen, wie falsch dieser Ansatz ist. Ärzte und Psychotherapeuten werden sich diesem System der Selbstausbeutung über kurz oder lang entziehen und sei es nur deshalb, weil sie altersbedingt ausscheiden. Bereits in zehn Jahren werden uns die teilweise erheblichen Versorgungslücken von heute wie ein paradiesisches Geplänkel vorkommen angesichts der gravierenden Engpässe, die es dann geben wird. Wer die Entwicklung einfach so laufen lässt, wie dies die Politik gerade tut, und – viel schlimmer – sogar den Fehler der Terminservicestellen noch weiter ausbaut, indem diese nun auch noch Kinderarzt- und Hausarzttermine vermitteln sollen, offenbart seine strukturelle Ratlosigkeit.

Weil bei einem kleinen Teil der Bürger offensichtlich die notwendige Kompetenz zur Einschätzung von Gesundheit abhandengekommen ist, lässt der Staat eine Aufweichung von ambulantem und stationärem Sektor immer mehr zu. Stattdessen müsste er dringend notwendige Steuerungen vornehmen und anerkennen, dass im Schnitt bis zu 18 Arztbesuche pro Versichertem und Jahr das System an seine Belastungsgrenze und darüber hinaus gebracht haben. Das kann und wird nicht gut gehen.

Wir brauchen dringend mehr Ärzte sowie Psychotherapeuten in der ambulanten Versorgung. Das kann nur durch mehr Studienplätze gelingen. Eine Neuausrichtung der Bedarfsplanung wird uns nur wenig bringen, denn sie führt nicht zu einem zusätzlichen Arzt oder Psychotherapeuten. Und wir brauchen den Mut des Staates bzw. der Politik, dass er seinen Bürgern zumutet, Gesundheitsversorgung zu steuern und ggf. auch mit Zuzahlungen zu belegen. Nur dann ist eine sinnvolle Steuerung ärztlicher und psychotherapeutischer Ressourcen für eine hochwertige Patientenversorgung auch in Zukunft möglich.


Autor:
Facharzt für Allgemeinmedizin
Stellv. Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen
60486 Frankfurt am Main

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (11) Seite 5
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.