Sprechende Medizin Nicht der Weisheit letzter Schluss

Kolumnen , Gesundheitspolitik Autor: R. Schmid

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe ist zwar noch nicht lange im Amt, scheint mitunter aber den richtigen Riecher zu haben. „Dass viele Menschen Schwierigkeiten haben, sich in unserem Gesundheitswesen zurechtzufinden, muss uns aufrütteln“, stellte er jüngst ernüchternd fest. Recht hat er, der Herr Minister. Bisher haben die mangelnde Aufklärung und die daraus folgende höchst unzureichende Adhärenz aber so recht niemanden aufgerüttelt. Das verwundert doch sehr. Immerhin gehen in Deutschland jährlich Kosten in Höhe von 13 Milliarden Euro allein auf das Konto der mangelnden Einnahmetreue von Medikamenten.

Und die fehlende Adhärenz wirkt sich bei weitem nicht nur finanziell aus. Die Sterblichkeitsrate bei COPD-Patienten liegt bei 26 %, wenn die Medikamente nicht richtig eingenommen werden. COPD-Patienten dagegen, die mindestens 80 % oder mehr ihrer Arzneien richtig anwenden, müssen lediglich mit einer Mortalitätsrate von 11 % rechnen. Die höchst unzureichende Therapietreue müsste doch eigentlich die Krankenkassen auf den Plan rufen. Doch auch diese verhalten sich verdächtig still.

Aber gibt es da nicht seit Kurzem das „problemorientierte hausärztliche Gespräch“, in dem ja auch auf die Compliance des Patienten eingegangen werden kann? Ja, das gibt es. Dabei müssen die Allgemeinärzte aber wieder – wen wundert’s – eine Reihe von Kröten schlucken: Die Ziffer kann nicht bei jedem Patienten und auch nur dann angesetzt werden, wenn zwischen Arzt und Patient das „problemorientierte Gespräch“ im Zusammenhang mit einer „lebensverändernden Erkrankung“ ansteht. Was das genau heißt, weiß eigentlich niemand. Und: Die Mindestzeitvorgabe von 10 Minuten gilt dann nicht mehr, wenn zugleich die Versichertenpauschale oder der Zuschlag für die palliativmedizinische Betreuung greift. Ziemlich vertrackt also das Ganze, typisch deutsch eben. Angesichts all dieser Restriktionen ist es nicht verwunderlich, dass die Ärzte ihr Budget für das hausärztliche Gespräch noch nicht ausgeschöpft haben.

Das Budget der neuen Ziffer für den hausärztlich-geriatrischen Betreuungskomplex, bei der gerade die Adhärenz älterer und multimorbider Patienten überprüft werden soll, reicht hingegen offenbar jetzt schon nicht aus. Wenigstens ist seit Mitte 2014 die Chronikerpauschale um zwei Euro auf jetzt 17,22 Euro erhöht worden. Vielleicht kommt das wenigstens der besseren Therapietreue der oftmals behandlungsmüden „chronischen“ Patienten zugute.

Fazit: Der Weisheit letzter Schluss ist das alles nicht. Wieder wurde eher gekleckert statt geklotzt. Die KV Mecklenburg-Vorpommern hat dies nun erkannt und mit der AOK Nordost eine neue sozialmedizinische Gesprächsziffer ausgehandelt, bei der keine lebensverändernde Erkrankung vorliegen muss. Vor dieser Blaupause auch für alle anderen KVen und Kassen kann man nur den Hut ziehen. Aus dem Hamsterrad, in dem die Ärzte strampeln, kann aber auch diese Ziffer sie nicht befreien. Das schaffen nur ausreichend gut dotierte Versichertenpauschalen, bei denen auch Zeit genug für die Sprechende Medizin verbleibt. Die neuesten Daten zur HzV in Baden-Württemberg zeigen, was – gerade für die Compliance chronisch kranker und älterer Patienten – alles möglich sein kann, wenn man denn nur will, meint

Ihr Raimund Schmid

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (16) Seite 31
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.