Arzt-Patienten-Beziehung No hands, no way

Kolumnen Autor: Ulrich Seifert

© fotolia - Narong Jongsirikul

In einer Berliner Frauenarzt-Praxis vor etwa drei Jahren: Die Ärztin kommt ins Wartezimmer und ruft den Namen einer Patientin auf, die sich an diesem Tag zum ersten Mal in der Praxis befindet. Die Patientin steht auf, geht freundlich lächelnd auf die für sie neue Ärztin zu und streckt ihr die rechte Hand zur Begrüßung hin. Mit einer hastigen Bewegung zieht die Ärztin ihre eigene rechte Hand hinter den Rücken und erklärt brüsk und kurz angebunden: "Das machen wir hier schon lange nicht mehr, das ist unhygienisch!" – Und dies vor allen anderen, wartenden Patienten! Das war mein erster Kontakt mit der Kampagne NO HANDS – und ich war gemeinsam mit der Patientin, die mir das Ganze am selben Abend noch erzählte, einfach nur empört ...

Keine Frage, dass es sicherlich auch viele Verfechter der NO-HANDS-Philosophie gibt, die ihre Überzeugung bei der Begrüßung eines Patienten souveräner und vor allem freundlicher kommunizieren. Dennoch: Wie übersehen, ausgegrenzt und gedemütigt fühlt man sich, wenn einem die Hand verweigert wird! Bedeutet doch der Begrüßungs-Handschlag in unserem Kulturkreis vor allem eines: sich mit beiderseitigem Respekt auf Augenhöhe zu begegnen.

Denn nur auf dem Boden einer solchen Grundhaltung lässt sich eine wirklich vertrauensvolle Zusammenarbeit aufbauen. Für den nachhaltigen Behandlungserfolg ist das respektvolle Sich-Begegnen von Arzt und Patient geradezu essenziell! Nichts weniger als dies setzen die NO-HANDS-Anhänger aufs Spiel, und für was? Wen will man hier vor wem oder was schützen?

Aktuelle Forschungsergebnisse gehen davon aus, dass auf und in jedem menschlichen Körper ein Heer von etwa 100 Billionen "guten und bösen" Mikroben lebt. Die Wissenschaftler vermuten, dass eine Infektion wahrscheinlich auf dem Boden eines aus dem Gleichgewicht geratenen Verhältnisses von Körper zu Mikroorganismen entsteht. Potenzielle Krankheitserreger tragen wir nicht nur an unseren Händen, an jedem Türgriff, Geländer, Handtuch, an allen Dingen des täglichen Gebrauchs finden sich diese Keime. Und das ist auch gut so, denn nur so kann sich unser Immunsystem mit den Mikroben auseinandersetzen und uns vor ihnen schützen.

Selbstverständlich gibt es Hochrisiko-Bereiche wie Infektions- u. Intensivstationen sowie aseptische Stationen und OP-Räume, wo NO HANDS seine Berechtigung hat. Obwohl – jede erfahrene Intensivschwester wird bestätigen, dass selbst bei Patienten im künstlichen oder natürlichen Koma ein mitfühlender Hautkontakt, wie z. B. das Handhalten oder -drücken, meist eine Absenkung der Herz- u. Atemfrequenz bewirkt, also offensichtlich beruhigend und wohltuend für den Komatösen ist.

Ohne Frage jedoch ist NO HANDS im normalen Krankenhausbetrieb und vor allen Dingen in der niedergelassenen Praxis kontraproduktiv im Hinblick auf das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient und damit auf das Behandlungsergebnis. Außerdem ... man kann und sollte sich lieber vor und nach jedem Patientenkontakt die Hände waschen und desinfizieren!


Autor:
Facharzt für Allgemeinmedizin
13503 Berlin

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (20) Seite 5
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.