Substitution Ohne Arztbesuch zum Physiotherapeuten?
Das Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion hat den wohlklingenden Namen „Heilmittelerbringer direkter in die Versorgung einbinden“. Darin geht es darum, qualifizierten Therapeuten die Diagnose-, Therapie- und Ergebnisverantwortung zu übertragen und den Patienten somit einen Direktzugang zu ermöglichen – ohne Umweg etwa über den Hausarzt. Künftig sollen zum Beispiel Physiotherapeuten frei und ohne ärztliche Vorgabe darüber entscheiden können, welche Anwendungen ihre Patienten brauchen. Für diese höher qualifizierte Leistung soll dann selbstverständlich auch gleich die Vergütung der Heilmittelerbringer erhöht werden.
Hausärzte sollen entlastet werden
Hintergrund ist, die Versorgungsstrukturen besser zu vernetzen und die Qualität der Versorgung sektorenübergreifend zu verbessern. Dafür sei die Zusammenarbeit aller qualifizierten Gesundheitsberufe eine unumgängliche Voraussetzung, heißt es im Positionspapier. Besonders im Hinblick auf zukünftige Versorgungsengpässe müsse die Verantwortung für die medizinische Versorgung der Menschen auf möglichst viele Schultern verteilt werden.
Lässt sich so Geld sparen?
Konkret versprechen sich die Politiker von einer direkteren Einbindung der Heilmittelerbringer in die Versorgungsverantwortung auch Einsparungen. So könnte der Therapieverlauf eines Patienten so gesteuert werden, dass Mehrfachuntersuchungen durch den Arzt entfallen, die Kosten für eine begleitende Arzneimitteltherapie reduziert, eine stationäre Aufnahme vermieden und die Anzahl der Krankheitstage verringert werden könnten. Zugleich könnten angesichts des Hausärztemangels zukünftigen Versorgungsengpässen ausgeglichen werden.
Erste Modellvorhaben hätten gezeigt, dass durch einen Direktzugang der Patienten effektivere Behandlungsverläufe und eine gesteigerte Effizienz erzielbar seien. In Ländern wie Schweden, Norwegen, den Niederlanden, Großbritannien und Australien gehöre der Direktzugang schon lange zur Regelversorgung und habe sich hier als Zugpferd für eine gesteigerte Behandlungsqualität erwiesen.
Blankoverordnungen werden schon getestet
Auch das Modellvorhaben einer „Blankoverordnung“, wie es in Berlin-Brandenburg erprobt werde, habe dazu geführt, dass besonders die Anzahl der Behandlungseinheiten von den Therapeuten, gegenüber den Verordnungen der Ärzte, reduziert würde. Diese Modelle hätten darüber hinaus auch gezeigt, dass der Patient von einer autonom erbrachten Behandlung, zum Beispiel in der Physiotherapie, in stärkerem Maße profitiere als im Vergleich zu Behandlungen, die durch eine vertragsärztliche Verordnung vorgegeben werden.
Wegfall des Heilmittelregresses
wäre reizvoll
So mancher Hausarzt könnte dem Unionsvorschlag durchaus etwas Gutes abgewinnen. So wäre etwa die Regressgefahr bei Heilmittelverordnungen von den Schultern der Hausärzte genommen, wenn die Heilmittelerbringer ihr eigenes Budget damit belasten würden. Zumal viele Hausärzte zugeben, dass z. B. die Physiotherapeuten mehr von ihrem eigenen Handwerk verstehen als der durchschnittliche Hausarzt. Andererseits wäre eine solche „Substitution“ auch mit einem gewissen Kompetenzverlust für die Hausärzte verbunden.
Kompetenzverlust für Hausärzte
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht die Überlegungen der Unionsfraktion eher kritisch. Sie pocht darauf, dass die Dia-
gnose- und Indikationsstellung sowie die Festlegung der notwendigen Menge an Leistungen in jedem Fall beim behandelnden Vertragsarzt verbleiben müsse. Denn nur er kenne die gesamte Krankheitsgeschichte des Patienten, und daher komme ihm eine unverzichtbare Entscheidungs- und Koordinierungsrolle zu. Ein Wegfall des ärztlichen Verordnungsvorbehalts könnte zum Schaden des Patienten sein, warnt die KBV, da die erforderliche differenzialdiagnostische Betrachtung nicht mehr sichergestellt wäre und so möglicherweise Krankheiten nicht erkannt würden.
Diagnose und Behandlung muss Sache des Arztes bleiben
Die Bundesärztekammer (BÄK) hingegen steht der Idee eines Direktzugangs zu Physiotherapeuten nicht vollkommen ablehnend gegenüber. Schließlich könnten auch heute schon Patienten einen Therapeuten ohne ärztliche Überweisung aufsuchen. Allerdings werden die Kosten der Behandlung dann nicht von den Krankenkassen übernommen. Für die BÄK wäre es aber wichtig, dass die zusätzlichen Kosten, die dadurch entstehen, außerhalb des Budgets abgedeckt werden. Und auch die Haftungsfrage müsse geklärt werden. Grundsätzlich sei jedoch die Diagnose und Behandlung Sache des Arztes und müsse es auch aus Gründen des Patientenschutzes heraus bleiben, so die BÄK.
Was aus dem Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion werden wird, muss man wohl abwarten. Da der federführende Gesundheitspolitiker aber selbst Physiotherapeut ist, kann man davon ausgehen, dass die Politik am Thema dranbleiben wird.
Dr. Ingolf Dürr
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (8) Seite 34-37
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.