Korruption Raus aus der Ethikfalle

Kolumnen Autor: U. Goering

Korruption bei Ärzten – ein paar provokante Gedanken: Aus heiterem Himmel sehen sich die Ärzte, diesmal die niedergelassenen, mit dem Vorwurf konfrontiert, sie seien bestechlich, einem Vorwurf, der in seiner Pauschalität geradezu ehrenrührig ist.

Das der entbrannten Diskussion zugrundeliegende Gerichtsurteil weist uns auf ein gesellschaftliches Problem hin: Die Allgemeinheit hat sich unbemerkt in eine Ethikfalle manövriert: Seit Jahren sprechen Politiker, Ökonomen und Krankenkassen von einem „Gesundheitsmarkt“, ein Begriff, den nicht wir Ärzte erfunden haben. Aber kann und darf man Gesundheit „vermarkten“?

In einem Markt unterliegen die Beteiligten den Gesetzen der Marktwirtschaft. Wir Ärzte haben begriffen, dass wir mit unserem Beruf offensichtlich Teil eines Ökonomiesystems sind. Es gehört zum Überleben in einem solchen System, dass Strategien entwickelt werden, die es erlauben, erfolgreich am Marktgeschehen teilzunehmen.

Was haben wir getan? Wir haben erfolgreich das System der „IGeL-Leistungen“ entwickelt. Kaum jemand hat in der Diskussion über Sinn und Unsinn des „IGeLns“ an die ethische Komponente gedacht. Reiche Patienten können „IGeLn“, arme können „IGeLn“ allenfalls wollen, bezahlen können Geringverdiener es nicht. Trotzdem wird kein „IGeLnder“ Arzt aus ethischen Gründen an den Pranger gestellt. Es wird offenbar allgemein akzeptiert, dass das ökonomisch, also marktwirtschaftlich "normal" ist.

Jetzt, Jahre später, werden niedergelassene Ärzte der Korruption bezichtigt, wenn sie Zuwendungen der Industrie erhalten. Was ist daran falsch? Wenn sich mehrere Anbieter eines Medikaments gleicher Qualität um Marktanteile bemühen, ist es da nicht ökonomisch vernünftig gedacht, das Präparat eines Herstellers zu verordnen und dafür von ihm eine Prämie zu erhalten? Problematisch ist es doch nur, wenn der verordnende Arzt seine Indikationen künstlich ausweitet und mehr als notwendig verordnen würde. Erst dann ist das unethisch, erst dann wäre der Tatbestand der Korruption erfüllt.

Heute erhalten fast alle Menschen für irgendetwas Zuwendungen, sei es als Sachleistung oder als Rabatt. Angestellte im öffentlichen Dienst und Beamte erhalten Nachlässe beim Autokauf und bei Versicherungen, Krankenversicherte Bonusleistungen ihrer Krankenkassen und Kunden im Supermarkt beim Einkauf Rabatte. Jeder Autokauf ist ein Handeln um Nachlass oder kostenfreie Zusatzausstattung.

Die Frage, die wir uns stellen und die wir wertfrei diskutieren müssen, ist doch die: Kann und darf man Gesundheit vermarkten? Wenn wir das bejahen, wir können ja gar nicht mehr anders, dann müssen wir Regeln aufstellen, damit dieser Markt nach unseren Wertvorstellungen reguliert wird. Wir haben überhaupt keine andere Wahl mehr, denn die Gesetze der Ökonomie haben längst den „Gesundheitsmarkt“ geschaffen. Wir können nur versuchen, einen Verhaltens-Codex für seine Teilnehmer zu erstellen.

Dr. med. Uwe Goering
Kinder- und Jugendarzt, Allergologie
91257 Pegnitz

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (3) Seite 3
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

Dr. med. Uwe Goering Dr. med. Uwe Goering