Work-Life-Balance Schon Realität oder noch Wunsch?

Kolumnen Autor: A. Bergmann

Gerade Studentinnen bewegt die Frage, kann ich als Ärztin in meinem Beruf Familie und Tätigkeit vereinbaren? Muss ich viele Kompromisse eingehen? Welche Tätigkeit kann mir vielleicht größere Freiräume bieten, angestellt im Krankenhaus oder in freier Niederlassung zu arbeiten?

Aktuelle Daten belegen, dass zwei von drei Ärztinnen berufliche Hemmnisse erleben. An erster Stelle steht hier die Arbeitssituation bei dem jeweiligen Arbeitgeber. Die Unterschiede im Wahrnehmen geschlechtsspezifischer Probleme sind zwischen Müttern und Frauen ohne Kinder signifikant. Dies bedeutet, dass vor allem Mütter sich hinsichtlich ihrer beruflichen Chancen benachteiligt fühlen und Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben. In einer sächsischen Studie fand sich, dass die Arbeitsanforderungen und Belastungen von den an der Studie teilnehmenden Ärzten als sehr hoch erlebt werden. Eine hohe Wochenarbeitszeit, die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurden in fast allen Facharztgruppen und ärztlichen Tätigkeitsbereichen sowie allen Altersgruppen als erheblich eingeschätzt. Die tatsächlich empfundene Arbeitsbelastung ist im Durchschnitt sehr hoch. Hier ist es unbedingt erforderlich, eine Balance zwischen Beruf und Familie, zwischen Tätigkeit und Freizeit zu finden.

An dieser Stelle ergibt sich die Frage, warum trotz hoher Belastungen und Hemmnisse die Anzahl der Ärztinnen zunimmt. Der Anteil der Frauen im niedergelassenen Bereich hat sich in den letzten 20 Jahren nahezu verdoppelt (1991: 28 019 vs. 2011: 45 761 Ärztinnen). Dies belegt eine Erhebung der Deutschen Apotheker- und Ärztebank in dem Zentralinstitut der Kassenärztlichen Vereinigung aus den Jahren 2009/2010 zum Frauenanteil bei den ärztlichen Existenzgründern. In den alten Bundesländern betrug der Frauenanteil der Praxisgründungen 41,9 %, in den neuen Bundesländern war dies deutlich höher mit 58,3 %.

Betrachtet man die Entwicklungen bei den Studienanfängern, dann ist der Anteil der Studentinnen von 49 % im Jahre 1992 auf 69 % im Jahr 2010 gestiegen. Dieser Trend setzt sich weiter fort, auch legen mehr Mädchen als Jungen das Abitur ab. Wir haben demnach eine gewachsene Versorgungsrealität mit einem hohen Anteil an Ärztinnen, die im Berufsleben stehen und zu Recht fordern, dass sich die Rahmenbedingungen an die Gegebenheiten anpassen müssen. Der Gesetzgeber hat mit dem neuen Versorgungsstrukturgesetz darauf schon mit einigen Änderungen reagiert.

Die Entscheidung, in einer eigenen Praxis als Hausärztin tätig zu sein, führt nachweislich zu einer höheren Zufriedenheit im Beruf. Die Möglichkeit der Selbstgestaltung der Arbeitszeit (natürlich im vorgegebenen Rahmen), der Arbeitsinhalte kann dazu beitragen, eine ausgewogene "Work-Life-Balance" zu erlangen und einen Burn-out zu verhindern. Ich habe diesen Schritt nie bereut und hoffe, immer genügend Zeit für meine drei Kinder und meinen Mann zu haben. Kolleginnen, werdet Hausärztinnen!

Prof. Dr. med. Antje Bergmann
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden
Bereich Allgemeinmedizin
01307 Dresden

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (5) Seite 3
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.