Bedarfsplanungsreform Verbesserte Versorgung ist das Ziel
Nach Angaben des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen aus dem Jahr 2012 hat sich die Zahl der Hausärzte zwischen 1993 und 2010 um 8,4 % verringert. Aufgrund der Altersstruktur der heute tätigen Ärzte ist bis zum Jahr 2020 mit einem „Ersatzbedarf“ von knapp 24 000 Hausärzten zu rechnen. Ein Blick in die Statistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) verdeutlicht das dahinter stehende Problem: Die bisherige vertragsärztliche Bedarfsplanung weist schon bislang rund 2 030 unbesetzte Hausarztsitze aus.
Der Hausärztebedarf zeigt sich allerdings im Wesentlichen in ländlichen Bereichen, während Großstädte nach wie vor und nahezu durchgängig für hausärztliche Neuzulassungen gesperrt sind. Dies sollte in der neuen Bedarfsplanungsrichtlinie berücksichtigt werden.
Hausärzte mit den kleinsten Planungsbereichen
Bislang orientierte sich die Einteilung der Planungsbereiche an den Stadt- und Landkreisgrenzen. Nun sollen die Planungsbereiche nur noch nach dem Kriterium der Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung eingeteilt werden. Da Hausärzte in der Regel einen relativ kleinen Einzugsbereich versorgen, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) auf eine bestimmte Raumabgrenzung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zurückgegriffen: die sogenannten Mittelbereiche. Das BBSR orientiert sich dabei an den Entfernungen, Lagebeziehungen, Verkehrsanbindungen und traditionellen Bindungen zwischen Gemeinden und damit an dem zu erwartenden Verhalten der Bevölkerung bei der Inanspruchnahme von Infrastruktureinrichtungen der Daseinsvorsorge. Mit der Änderung ist die Zahl der Planungsbereiche deshalb von 395 auf 883 gestiegen.
Eine zweite wichtige Änderung betrifft die Verhältniszahl. Sie besagt, bei welcher Einwohner/Arzt-Relation eine bedarfsgerechte Versorgung besteht. Bislang existierten für den hausärztlichen Bereich 14 Verhältniszahlen, je nachdem, ob der Planungsbereich als Kernstadt, verdichteter Kreis, ländlicher Kreis oder als einer der weiteren sechs Regionstypen, in die man die bislang 395 Planungsbereiche eingeteilt hatte, charakterisiert war. Nach der neuen Bedarfsplanungsrichtlinie gibt es für alle 883 Mittelbereiche nur noch eine Verhältniszahl von einem Hausarzt auf 1 671 Einwohner. Eine Ausnahme bildet die schon nach altem Recht bestehende Sonderregion Ruhrgebiet, in der eine Verhältniszahl von 1 : 2 134 gilt. Der G-BA sah sich aufgrund der knappen Zeitvorgaben nicht in der Lage, den Sonderstatus des Ruhrgebietes zu beseitigen, hat sich aber eine Überprüfung binnen der nächsten fünf Jahre auferlegt.
Wie schon die vormals geltenden sind auch die neuen Verhältniszahlen nicht das Ergebnis einer wissenschaftlichen Versorgungsforschung. Vielmehr geht der G-BA davon aus, dass in der ambulanten Versorgung jedenfalls seit Beginn der 1980er Jahre nicht mehr ernsthaft von flächendeckenden Versorgungsproblemen gesprochen werden kann. Er hält es deshalb für ausreichend, die Verhältniszahlen im Ausgangspunkt durch eine schlichte Zählung von Einwohnern und zugelassenen Hausärzten zu bestimmen. Die Zählung fand allerdings nicht zu einem aktuellen Stichtag, sondern zum Stichtag 31. Dezember 1995 statt, so dass der oben angesprochene Rückgang der Hausarztzulassungen auf die Ermittlung noch keinen Einfluss hatte.
Leistungsbedarf steigt mit dem Alter der Patienten
Im neuen Gesetz wird nun auch gefordert, dass bei den Ermittlungen zur bedarfsgerechten Versorgung die demographische Entwicklung berücksichtigt werden muss. Der G-BA hat dazu ein Verfahren entwickelt, nach dem die Verhältniszahl für jeden Mittelbereich anzupassen ist, wenn die Altersstruktur der Bevölkerung vom Durchschnitt aller Mittelbereiche abweicht. Nach einer statistischen Auswertung der letzten zwölf Abrechnungsquartale geht die Bedarfsplanungsrichtlinie davon aus, dass der Leistungsbedarf der Patienten im Alter ab 65 Jahren um 2,567 Mal höher liegt als bei den Versicherten unter 65 Jahren. Ein im Planungsbereich erhöhter prozentualer Anteil von Versicherten, die 65 Jahre oder älter sind, führt danach dazu, dass die Verhältniszahl sinkt (beispielsweise 1 : 1 500 anstelle der grundsätzlich für alle Mittelbereiche geltenden Verhältniszahl von 1 : 1 671) und deshalb sich die Zahl der Zulassungen erhöht. Bundesweit könnten sich daraus bis zu 3 000 freie Praxissitze für Hausärztinnen und Hausärzte (inklusive der heute schon unbesetzten Sitze) ergeben.
Mehr Flexibilität vor Ort
Von den vorstehend geschilderten Vorgaben der bundesweit geltenden Bedarfsplanungsrichtlinie dürfen die Kassenärztlichen Vereinigungen, die die Bedarfspläne im Einvernehmen mit den Krankenkassen aufzustellen haben, abweichen. Eine derartige Abweichungsmöglichkeit gab es nach der alten Rechtslage nicht. Möglich ist eine eigenständige Berechnungsmethode für die Verhältniszahl oder eine andere Festlegung der Planungsbereichsgrenzen, wenn regionale Besonderheiten dies erforderlich machen. Die Richtlinie des G-BA zählt beispielhaft einen über- oder unterdurchschnittlichen Anteil von Kindern oder älteren Menschen, eine auffällige Prävalenz- oder Inzidenzrate von Erkrankungen, Einkommensarmut, Arbeitslosigkeit, geographische Phänomene wie Gebirgszüge, Flüsse oder Inseln oder infrastrukturelle Besonderheiten wie zum Beispiel die Verkehrsanbindung auf.
Noch sind die neuen Regeln nicht umgesetzt. Dafür haben die Kassenärztlichen Vereinigungen bis zum 30. Juni 2013 Zeit. Bis dahin ist für jeden Mittelbereich anhand der neuesten Einwohner– und Hausarztzahlen die aktuelle Verhältniszahl zu ermitteln und an den Demografiefaktor anzupassen. Aus dem Vergleich dieser Verhältniszahl mit der ebenfalls demografisch angepassten bundesweit geltenden Verhältniszahl hat dann der zuständige Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen gegebenenfalls Maßnahmen wegen Unter- oder Überversorgung zu ergreifen. Insoweit bleibt es im Falle der Überversorgung ab 110 % bei dem schon nach dem bisherigen Recht bekannten Instrument der Zulassungssperre.
Verlegung von hausärztlichen Sitzen kann schwieriger werden
Angesichts der noch ausstehenden Berechnungen lässt sich derzeit nicht im Einzelnen abschätzen, welche Auswirkungen die Änderungen im Bedarfsplanungsrecht haben werden. Der im Vergleich zu den Stadt- und Landkreisgrenzen kleinere Zuschnitt der Mittelbereiche wird jedoch zur Folge haben, dass Praxisumzugspläne überdacht werden müssen. Ein Umzug über die Planungsbereichsgrenze hinaus ist nur möglich, wenn im neuen Planungsbereich eine neue Zulassung erworben werden kann – was in gesperrten Planungsbereichen mit Schwierigkeiten verbunden sein könnte. Die kleinteiligere Grenzziehung kann aber auch dazu führen, dass sich ein bisher gesperrter Planungsbereich in einen oder mehrere geöffnete und einen gesperrten Planungsbereich teilt und dadurch neue Zulassungsmöglichkeiten entstehen. Um in der Phase des Übergangs zur neuen Bedarfsplanung ein zu rasches Anwachsen von Zulassungen zu verhindern, räumt die Bedarfsplanungsrichtlinie den Kassenärztlichen Vereinigungen die Möglichkeit ein, den Zuwachs über drei Jahre zu verteilen. Außerdem soll es innerhalb eines Übergangszeitraums von drei Jahren möglich sein, Zulassungssperren wegen Überversorgung bereits dann anzuordnen, wenn der Versorgungsgrad bei (lediglich) 100 % liegt, um dadurch Hausärzte in die relativ am schlechtesten versorgten Planungsbereiche einer KV zu lenken.
Spätestens Mitte des Jahres dürfte es sich also für alle Hausärzte lohnen, einen Blick darauf zu werfen, was ihre zuständige KV hinsichtlich Planungsbereichen, Zulassungssperren oder Entsperrungen entschieden hat.▪
Vier Ebenen der Versorgung
Der neuen Bedarfsplanung unterliegen erstmalig alle Fachgruppen, auch jene, denen weniger als tausend Ärzte angehören (z. B. Nuklearmediziner oder Strahlentherapeuten, Neurochirurgen, Humangenetiker oder Laborärzte). Damit steigt die Anzahl der beplanten Arztgruppen von 14 auf 23. Unterschieden werden künftig vier Ebenen der Versorgung, in denen die Ärzte unterschiedlich feinmaschig verteilt sind: die hausärztliche Versorgung, die allgemeine fachärztliche Versorgung, die spezialisierte fachärztliche Versorgung und die gesonderte fachärztliche Versorgung.
Torsten Münnch
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht
Dierks + Bohle Rechtsanwälte Berlin
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (7) Seite 76-77
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.