Multitasking in der Praxis Warum sind Hausärzte nötiger denn je?

Kolumnen Autor: U. Popert

In Diskussionsforen und in der Öffentlichkeit wird versteckt oder auch offen gefragt, ob Hausärzte überhaupt nötig sind, oder ob man nicht auf einen „Lotsen“ verzichten und lieber gleich direkt zum „richtigen“ Gebietsarzt gehen sollte. Dagegen spricht aber einiges:

 

  • Wenn Gebietsärzte sich in der Primärversorgung betätigen möchten, dann gehört dazu neben Hausbesuchen auch die Versorgung von Altenheimen, die Versorgung akuter Erkrankungen (am gleichen Tag!) und im ärztlichen Bereitschaftsdienst, die Beantwortung von Kassenanfragen und Kuranträgen, die Betreuung von chronisch Kranken und Multimorbiden, Prävention, Impfungen, Seelsorge usw. „Hausarzt light“ funktioniert nicht in der Fläche.
  • Patienten wollen außerdem mehrheitlich einen festen Ansprechpartner; Hausärzte genießen nicht zufällig seitens der Patienten das größte Vertrauen unter den Ärzten, und die größte Zufriedenheit mit Gesundheitssystemen gibt es dort, wo eine gute und flächendeckende Primärversorgung etabliert ist.
  • Es ist ein – von einigen Interessengruppen gerne genährter – Irrglaube, dass die hausärztliche Arbeit im Wesentlichen im Schreiben von Überweisungen besteht. Tatsächlich werden etwa 70–80 % der Patientenanliegen abschließend bearbeitet, Überweisungen sind eher die Ausnahme.
  • Die meisten Patienten haben weit gefächerte Anliegen. Das kann aber nur der effektiv bearbeiten, der die Behandlung mehrerer Organsysteme beherrscht. Selbst Internisten sind nur für maximal 40 % der hausärztlichen Beratungsanlässe ausgebildet – die in der Primärversorgung häufigsten anderen Fachbereiche verteilen sich wie folgt: Orthopädie 15 %, Psychiatrie/Psychotherapie 8 %, Haut 5 %, Chirurgie 4 %, Urologie 1 %, HNO und Infektionen der oberen Atemwege 11 %.
  • Die meisten Patienten haben mehrere Fragen bzw. betroffene Organsysteme gleichzeitig. In der wenigen zur Verfügung stehenden Zeit müssen diese meist parallel abgearbeitet werden. Ein echtes Multitasking, welches eine gute Allround-Ausbildung und viel Erfahrung erfordert. Und das ist auch der wichtigste Grund, warum eine in definierten Spezialbereichen geschulte medizinische Fachangestellte einen Allgemeinarzt zwar entlasten, aber nicht ersetzen kann.


Autor:
Facharzt für Allgemeinmedizin
34119 Kassel

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (13) Seite 3
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.