Patienten-Versorgung Weniger ist mehr

Gesundheitspolitik Autor: Hans Glatzl

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„Muss man alles machen, was man kann?“ oder wann ist weniger mehr, welche Therapie ist wirklich wichtig und wie können Patienten bei der Auswahl geeigneter Behandlungswege besser eingebunden werden? Das sind die Fragen, mit denen sich Haus- und Fachärzte bei der Berliner Pilotveranstaltung der „Akademien der Bundesärztekammer im Dialog“ intensiv beschäftigen. Kein Wunder, denn der mündige Patient wird – ausgestattet mit Halbwissen aus diversen Internetforen – immer aufmüpfiger. Eine Reform der über 30 Jahre alten Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ist längst überfällig. Seit Jahren bemüht man sich daher um eine Novellierung. Und diese schien nun zum Greifen nahe, denn die Verhandlungen zwischen der Bundesärztekammer (BÄK) und dem Verband der Privaten Krankenversicherungen (PKV) näherten sich wohl ihrem Ziel. Doch dann rumorte es in der Ärzteschaft beträchtlich. Ein Sonderärztetag Ende Januar sollte die Lage entspannen.

Dass es Überversorgung gibt, ist unter Ärzten nicht umstritten. So ergab eine Umfrage der Universität Duisburg-Essen unter rund 4 000 Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, dass mehr als die Hälfte der Befragten mehrmals in der Woche überflüssige Prozeduren vornimmt.

„Im Kern geht es darum, wie wir kluge Entscheidungsstrategien entwickeln können, um die Versorgung der Patienten zu verbessern“, eröffnete Bundesärztekammerpräsident Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery die Veranstaltung. „... und das wollen wir künftig interdisziplinär, kollegial und sektorenübergreifend machen.“ Multimorbidität und Polypharmazie sowie die von Fachgesellschaften ins Leben gerufene Initiative „Klug entscheiden“ standen im Zentrum der Tagung.

Medizin weckt Hoffnungen

Dr. Max Kaplan, BÄK-Vizepräsident und niedergelassener Hausarzt, lenkte in seinem Impulsreferat den Fokus darauf, dass die enormen Leistungen der Medizin bei den Menschen Hoffnungen geweckt haben, die nicht immer und überall erfüllt werden könnten. „Wir Ärzte sollten nicht versucht sein, diese übermäßigen Ansprüche durch nichtzwingend indizierte Behandlungen kompensieren zu wollen. Das wäre berufsethisch nicht zu vertreten und bei kontraindizierter Behandlung sogar rechtlich verwerflich“, so seine Warnung. Hinzu komme, dass der Minimierung des Patientenrisikos eine Maximierung des ärztlichen Haftungsrisikos gegenüberstehe. „Durch diese Verrechtlichung der Medizin besteht die Gefahr, dass sich eine Defensiv-Medizin entwickelt, die zu Überdiagnostik führen kann.“ Die medizinische Indikation müsse deshalb ein gut begründbares fachliches Urteil des behandelnden Arztes darstellen, damit das mit dem Patienten gemeinsam festgelegte Behandlungsziel erreicht wird, so Kaplan.

Patienten einbinden

In dieselbe Kerbe des Berufsverständnisses schlug Prof. Dr. Jost Steinhäuser vom Institut für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck. Er legte in seinem Referat Wert auf die Notwendigkeit, Patienten in die Entscheidungsfindung stärker einzubeziehen. „... weg von einem krankheitszentrierten Ansatz hin zu einem individuell maßgeschneiderten Entscheidungsprozess“. Hilfreich seien hierfür spezielle Kommunikationskurse für Ärzte, in denen sie unter anderem die partizipative Entscheidungsfindung trainieren können. In der Polypharmakologie sei der Arzt mit Überblick gefragt. Medikamentenpläne seien unerlässlich. Hier gebe es noch eine hohe Diskrepanz zwischen Praxisrealität und gebotener Versorgungsqualität. Sicher aber sei, dass die hausärztliche Versorgung die Patientensicherheit erhöhe, so Steinhäuser.

Klug entscheiden

Im Rahmen der Kampagne „Klug entscheiden“ sollen noch in diesem Jahr die ersten evidenz-basierten Empfehlungen veröffentlicht werden, kündigte Prof. Dr. Gerd Hasenfuß, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), an. Sie sollen als Entscheidungsgrundlage dafür dienen, welche Dia-

gnostik und Behandlung vorgenommen wird. Untersuchungsmethoden müssten „evidenzbasiert, ressourcenbewusst und ethisch fundiert ausgewählt werden“, sagte Hasenfuß. Die Dialogveranstaltung bildet den Auftakt eines Konzeptes der BÄK, mit dem die Arbeit der Deutschen Akademie für Allgemeinmedizin und die der Akademie der Gebietsärzte noch intensiver miteinander verzahnt werden soll, verweist BÄK-Vizepräsidentin Dr. Martina Wenker auf beabsichtigte Strukturveränderungen. Auf diese Weise solle versorgungsrelevanten Themen ein größeres politisches Gewicht mit entsprechender öffentlicher Wirkung und Einfluss verliehen werden. „Wir setzen auf Verzahnung statt auf Sektionierung.“ Eine Leitlinie zum Thema „Schutz vor Überversorgung“ ist auch bei der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) in Arbeit.

Hans Glatzl

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (3) Seite 30-32
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

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