Patienten-Versorgung Weniger ist mehr
Dass es Überversorgung gibt, ist unter Ärzten nicht umstritten. So ergab eine Umfrage der Universität Duisburg-Essen unter rund 4 000 Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, dass mehr als die Hälfte der Befragten mehrmals in der Woche überflüssige Prozeduren vornimmt.
„Im Kern geht es darum, wie wir kluge Entscheidungsstrategien entwickeln können, um die Versorgung der Patienten zu verbessern“, eröffnete Bundesärztekammerpräsident Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery die Veranstaltung. „... und das wollen wir künftig interdisziplinär, kollegial und sektorenübergreifend machen.“ Multimorbidität und Polypharmazie sowie die von Fachgesellschaften ins Leben gerufene Initiative „Klug entscheiden“ standen im Zentrum der Tagung.
Medizin weckt Hoffnungen
Dr. Max Kaplan, BÄK-Vizepräsident und niedergelassener Hausarzt, lenkte in seinem Impulsreferat den Fokus darauf, dass die enormen Leistungen der Medizin bei den Menschen Hoffnungen geweckt haben, die nicht immer und überall erfüllt werden könnten. „Wir Ärzte sollten nicht versucht sein, diese übermäßigen Ansprüche durch nichtzwingend indizierte Behandlungen kompensieren zu wollen. Das wäre berufsethisch nicht zu vertreten und bei kontraindizierter Behandlung sogar rechtlich verwerflich“, so seine Warnung. Hinzu komme, dass der Minimierung des Patientenrisikos eine Maximierung des ärztlichen Haftungsrisikos gegenüberstehe. „Durch diese Verrechtlichung der Medizin besteht die Gefahr, dass sich eine Defensiv-Medizin entwickelt, die zu Überdiagnostik führen kann.“ Die medizinische Indikation müsse deshalb ein gut begründbares fachliches Urteil des behandelnden Arztes darstellen, damit das mit dem Patienten gemeinsam festgelegte Behandlungsziel erreicht wird, so Kaplan.
Patienten einbinden
In dieselbe Kerbe des Berufsverständnisses schlug Prof. Dr. Jost Steinhäuser vom Institut für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck. Er legte in seinem Referat Wert auf die Notwendigkeit, Patienten in die Entscheidungsfindung stärker einzubeziehen. „... weg von einem krankheitszentrierten Ansatz hin zu einem individuell maßgeschneiderten Entscheidungsprozess“. Hilfreich seien hierfür spezielle Kommunikationskurse für Ärzte, in denen sie unter anderem die partizipative Entscheidungsfindung trainieren können. In der Polypharmakologie sei der Arzt mit Überblick gefragt. Medikamentenpläne seien unerlässlich. Hier gebe es noch eine hohe Diskrepanz zwischen Praxisrealität und gebotener Versorgungsqualität. Sicher aber sei, dass die hausärztliche Versorgung die Patientensicherheit erhöhe, so Steinhäuser.
Klug entscheiden
Im Rahmen der Kampagne „Klug entscheiden“ sollen noch in diesem Jahr die ersten evidenz-basierten Empfehlungen veröffentlicht werden, kündigte Prof. Dr. Gerd Hasenfuß, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), an. Sie sollen als Entscheidungsgrundlage dafür dienen, welche Dia-
gnostik und Behandlung vorgenommen wird. Untersuchungsmethoden müssten „evidenzbasiert, ressourcenbewusst und ethisch fundiert ausgewählt werden“, sagte Hasenfuß. Die Dialogveranstaltung bildet den Auftakt eines Konzeptes der BÄK, mit dem die Arbeit der Deutschen Akademie für Allgemeinmedizin und die der Akademie der Gebietsärzte noch intensiver miteinander verzahnt werden soll, verweist BÄK-Vizepräsidentin Dr. Martina Wenker auf beabsichtigte Strukturveränderungen. Auf diese Weise solle versorgungsrelevanten Themen ein größeres politisches Gewicht mit entsprechender öffentlicher Wirkung und Einfluss verliehen werden. „Wir setzen auf Verzahnung statt auf Sektionierung.“ Eine Leitlinie zum Thema „Schutz vor Überversorgung“ ist auch bei der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) in Arbeit.
Hans Glatzl
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (3) Seite 30-32
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.