Gestärkte Versorgung Wird jetzt alles besser?

Gesundheitspolitik Autor: Ingolf Dürr

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Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, kurz GKV-VSG, will die Politik dazu beitragen, eine gut erreichbare, flächendeckende Versorgung der Patienten in allen Regionen Deutschlands auf höchstem Niveau sicherzustellen. Gleichzeitig soll es die Patientenrechte stärken und die Versorgungsqualität verbessern. Für die ambulante Versorgung bringt das GKV-VSG etliche Veränderungen mit sich. Wir geben einen Überblick über die wesentlichen Neuerungen.

„Wir wollen, dass Ärzte dort tätig sein sollten, wo sie gebraucht werden“, so brachte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe die Ziele des Versorgungsstärkungsgesetzes auf den Punkt. Einige der geplanten Neuregelungen waren bis zum Schluss umstritten und wurden vor allem von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und einigen Ärzteverbänden heftig kritisiert. Das betraf vor allem den Aufkauf von Arztsitzen in überversorgten Regionen und die Einrichtung von Terminservicestellen für Facharztbesuche. Auf Druck der Verbände gestand die Politik hier noch ein paar kleinere Korrekturen zu, aber im Wesentlichen hat sie sich mit ihren Plänen schließlich doch durchgesetzt.

Mehr Gewicht für Hausärzte

In der Vertreterversammlung der KBV sollen künftig über hausärztliche Belange nur die Vertreter der Hausärzte, über fachärztliche Belange nur die Vertreter der Fachärzte abstimmen. Bei gemeinsamen Abstimmungen sind die Stimmen so zu gewichten, dass insgesamt in der Vertreterversammlung eine Parität der Stimmen zwischen Vertretern der Hausärzte und Vertretern der Fachärzte besteht. Für die Kassenärztlichen Vereinigungen wird es diese Regelung nicht geben.

Keine Wirtschaftlichkeitsprüfung mehr

Wirtschaftlichkeitsprüfungen für verordnete Leistungen wie Arznei- und Heilmittel fallen in ihrer jetzigen Form weg. Geprüft wird ab 2017 nach regionalen Regeln, auf die sich die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen verständigen sollen. Die neuen Prüfverfahren gelten für Leistungen, die ab 1. Januar 2017 verordnet werden.

Aufkauf von Arztsitzen

Die Regelung zum Aufkauf von Arztsitzen in Regionen mit Zulassungsbeschränkungen wird mit dem neuen Gesetz verschärft: Die Zulassungsausschüsse sollen (bislang „können“) Anträge von Vertragsärzten und Vertragspsychotherapeuten auf Nachbesetzung ihres Sitzes ablehnen, wenn eine Fortführung der Praxis aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist. Dies geht allerdings nur in Regionen, in denen 40 % mehr Ärzte beziehungsweise Psychotherapeuten zugelassen sind als rechnerisch erforderlich, also ab einem Versorgungsgrad von 140 %. Darf ein Arzt oder Psychotherapeut seinen Sitz nicht weitergeben, muss die KV die Praxis aufkaufen. Für die Aufkaufregelung sind Ausnahmen vorgesehen. So muss der Zulassungsausschuss den Antrag eines Arztes oder Psychotherapeuten auf Nachbesetzung genehmigen, wenn der Bewerber sein Ehegatte, Lebenspartner oder Kind ist. Die Politik erhofft sich von der Regelung, dass sich mehr Ärzte in schlechter versorgten Gebieten niederlassen.

Facharzttermin innerhalb von 4 Wochen

Die KVen müssen spätestens ab 1. Februar 2016 Terminservicestellen für Patienten anbieten. Diese sollen bei Vorlage einer Überweisung zum Facharzt innerhalb einer Woche einen Behandlungstermin vermitteln. Die Wartezeit auf einen Termin darf 4 Wochen nicht überschreiten. Ansonsten soll die KV dem Patienten einen Termin zur ambulanten Behandlung an einem Krankenhaus anbieten. Die Leistungen der Klinik müssen dann aus dem Budget der Vertragsärzte bezahlt werden.

Die KBV und einige Ärzteverbände halten diese Regelung für ein rein populistisches Element der Politik und sehen darin noch dazu einen vehementen Eingriff in die ärztliche Selbstständigkeit. Nichtsdestotrotz werden sich die KVen nun etwas einfallen lassen müssen, wie sie die Terminvereinbarungen organisieren wollen.

Um die KV mit der Terminsuche beauftragen zu können, muss eine „dringende Überweisung“ vorliegen, d. h. der Hausarzt hat damit dokumentiert, dass der Facharzttermin innerhalb von 4 Wochen erfolgen muss. Das klappt nach Aussage der KBV eigentlich bisher schon ganz gut, insofern weiß noch niemand, mit wie vielen Patientenanrufen man bei den noch einzurichtenden Terminservicestellen tatsächlich rechnen muss.

Krankenhäuser öffnen sich

In unterversorgten Regionen sollen Krankenhäuser Patienten auch ambulant behandeln dürfen. Die Zulassungsausschüsse werden per Gesetz verpflichtet, sie zur Teilnahme an der ambulanten ärztlichen Versorgung zu ermächtigen, wenn der Landesausschuss eine Unterversorgung oder einen zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarf festgestellt hat.

Verbessertes Entlassmanagement

Die Krankenhäuser werden verpflichtet, Patienten eine vor- beziehungsweise nachstationäre Behandlung anzubieten. Damit soll ausgeschlossen werden, dass die Nachsorge aus der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung der Vertragsärzte finanziert wird. Krankenhäuser dürfen den Patienten bei der Entlassung für bis zu 7 Tage Arzneimittel verordnen, auch das Attestieren einer Arbeitsunfähigkeit ist möglich.

Hausarzt-MVZ wird möglich

Zukünftig sind auch arztgruppengleiche Medizinische Versorgungszentren (MVZ) erlaubt und nicht wie bisher ausschließlich fachübergreifende. Damit können beispielsweise in einem MVZ auch nur Hausärzte oder nur Psychotherapeuten tätig sein. Neu ist außerdem, dass Kommunen insbesondere in ländlichen Regionen MVZ errichten dürfen.

Recht auf Zweitmeinung

Bei bestimmten planbaren, besonders häufig durchgeführten Eingriffen erhalten Versicherte einen Anspruch auf eine Zweitmeinung. Ärzte, die eine Zweitmeinung abgeben, müssen besondere Anforderungen erfüllen. Neben langjähriger Erfahrung auf dem entsprechenden Fachgebiet sollen sie möglichst als Gutachter tätig sein oder besondere Zusatzqualifikationen nachweisen können.

Krankengeld wird vorgezogen

Versicherte erhalten einen Anspruch auf Krankengeld schon von dem Tag an, an dem die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (AU) erfolgt. Bislang war dies erst ab dem Folgetag möglich. Auch der Anspruch auf Krankengeld bleibt künftig bestehen, wenn nach Ende einer AU-Bescheinigung die Fortdauer einer Krankheit erst am nächsten Tag ärztlich festgestellt wird.

Mehr Weiterbildungsstellen in der Allgemeinmedizin

Die Zahl der zu fördernden Weiterbildungsstellen in der Allgemeinmedizin wird von 5 000 auf 7 500 erhöht. Außerdem sollen erstmals bis zu 1 000 Weiterbildungsstellen für angehende Fachärzte der Grundversorgung in den Praxen finanziell gefördert werden. Bis zu 5 % der Fördergelder können in Kompetenzzen-

tren fließen, die die Qualität und Effizienz der Weiterbildung verbessern sollen. Es ist ferner angedacht, perspektivisch eine Stiftung zur Förderung der ambulanten Weiterbildung von Haus- und Fachärzten zu errichten.

Bedarfsplanung auf den neuesten Stand bringen

Last but not least soll die 2013 geänderte Bedarfsplanung weiterentwickelt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss wird beauftragt, bis Ende 2016 die Verhältniszahlen neu festzulegen. Diese geben vor, wie viele Ärzte einer Fachgruppe für wie viele Einwohner zur Verfügung stehen sollen. Bei der Anpassung der Zahlen sollen insbesondere die demografische Entwicklung sowie die Sozial- und Morbiditätsstruktur der Bevölkerung berücksichtigt werden.

Das neue Gesetz tritt zwar am 1. August 2015 in Kraft. Das heißt nicht, dass dann bereits alle Neuerungen gelten. Die meisten Regelungen müssen erst noch genauer ausgestaltet werden, zum Beispiel im Gemeinsamen Bundesausschuss oder durch die KBV und den GKV-Spitzenverband.


Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (12) Seite 38-41
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.