Hochsommer in der Praxis Hitzefrei für Personal und Zutrittsverbot für Patienten?

Praxisführung Autor: T. Münnch

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Selbst nach einem milden Winter freuen sich die meisten Menschen auf den bevorstehenden Sommer. Endlich wieder im Biergarten sitzen, im Baggersee baden oder einfach nur die freie Natur genießen. Die Stimmung in Öffentlichkeit und Medien schlägt aber recht schnell um, wenn die Temperaturen die 30-Grad-Marke überschreiten und alles in eine Sauna verwandeln – unter Umständen auch die Praxisräume. Praxischefs, die nicht über klimatisierte Räume verfügen, sollten sich bewusst sein, dass die Verantwortung für die Gefahren aus überhitzten Praxisräumen bei ihnen liegt. Der nachfolgende Beitrag zeigt auf, welche Rechtsvorschriften Ärzte im Zusammenhang mit hohen Temperaturen zu beachten haben.

Im Hinblick auf die Beschäftigten ist die Arbeitsstättenverordnung einzuhalten. Sie gilt unabhängig von der Größe und Beschäftigtenzahl des Betriebes, also auch für Praxen mit nur ein oder zwei Beschäftigten. Danach hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass Arbeits-, Pausen- und Sanitärräume so eingerichtet und betrieben werden, dass von ihnen keine Gefährdungen für die Sicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten ausgehen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Arbeitgeber den Stand der Technik berücksichtigen. Einzelheiten ergeben sich aus den "Technischen Regeln für Arbeitsstätten – ASR", die von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin bekannt gemacht werden (zu finden auf www.baua.de). Danach soll die Lufttemperatur am Arbeitsplatz 26° C nicht überschreiten. Kann es in einem Raum aufgrund der Sonneneinstrahlung zu höheren Temperaturen kommen, muss der Arbeitgeber die Fenster zwingend mit geeigneten Sonnenschutzvorrichtungen ausrüsten (zum Beispiel Jalousien oder Markisen). Wird eine Raumtemperatur von 26° C überschritten, dann soll der Arbeitgeber zusätzliche Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel elektrische Geräte nur bei Bedarf betreiben, in den frühen Morgenstunden lüften, Bekleidungsregeln lockern oder geeignete Getränke bereitstellen. Steigt die Temperatur über 30° C, dann werden die vorgenannten Maßnahmen zur Pflicht. Klettert die Lufttemperatur im Raum gleichwohl über 35° C und können weitere Maßnahmen nicht ergriffen werden (Luftduschen, Wasserschleier, Hitzeschutzkleidung), darf in dem Raum nicht mehr gearbeitet werden.

Bei über 35° C ist in der Praxis Schluss

„Hitzefrei“ gibt es also nicht schon dann, wenn die Außentemperaturen Rekordwerte erreichen, sondern erst dann, wenn die Temperaturen in der Praxis über 35° C steigen. Dann aber kommt es auch nicht darauf an, ob die Temperaturen außerhalb deutlich darunter liegen. Korrespondierend dazu steht dem Arbeitnehmer ein arbeitsrechtliches Leistungsverweigerungsrecht zu. Ein Praxischef, der sich über die Anforderungen der Arbeitsstättenverordnung hinwegsetzt, muss nicht nur mit einem berufsgerichtlichen Verfahren durch die Ärztekammer rechnen, sondern auch mit einem Bußgeld von bis zu 5 000 Euro durch die örtlich zuständige Behörde für Arbeitssicherheit. Kommt es zu einer Gesundheitsgefährdung eines Beschäftigten, kann sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr drohen (§ 26 Arbeitsschutzgesetz).

Auch der Vermieter ist in der Pflicht

Sind die Praxisräume angemietet, stellt sich die Frage, in welchem Umfang der Vermieter zur Abhilfe verpflichtet ist. Zu hohe Innentemperaturen können einen Mangel der Mietsache darstellen. Dazu hat das Oberlandesgericht Rostock entschieden, dass Räume, die zum Betrieb einer Arztpraxis vermietet werden, die Temperaturgrenzen der Arbeitsstättenverordnung einhalten müssen (Urteil vom 29.12.2000, Aktenzeichen 3 U 83/98). Steigen die Raumtemperaturen auf über 26° C und lassen sich diese durch zumutbare Maßnahmen des Mieters nicht senken (zum Beispiel gelegentliches Lüften, Abschalten von wärmeproduzierenden technischen Geräten), ist der Vermieter zu Gegenmaßnahmen verpflichtet. Bleibt der Vermieter untätig oder misslingt ihm eine Temperatursenkung, ist der Mieter zur Mietminderung berechtigt. Voraussetzung ist allerdings eine rechtzeitige Anzeige des Mangels beim Vermieter. Nimmt ein Mieter die zu hohen Raumtemperaturen über längere Zeit hin, kann er sein Minderungsrecht verlieren. Der Vermieter sollte also so früh wie möglich auf unzuträgliche Raumtemperaturen hingewiesen werden. Außerdem hat das Gericht eine Mietminderung abgelehnt, wenn die hohen Temperaturen nur an maximal vier Tagen im Monat auftreten. Sollte es zu einem Rechtsstreit kommen, muss übrigens der Arzt als Mieter die zu hohen Raumtemperaturen beweisen. Dieser Beweis kann beispielsweise dadurch geführt werden, dass die Temperaturmessungen und die erfolglosen Abhilfeversuche von einer Arzthelferin durchgeführt und dokumentiert werden. Je detaillierter die Dokumentation, desto größer sind die Prozessaussichten.

Die öffentlich-rechtlichen Vorschriften der Arbeitsstättenverordnung nehmen allerdings keine Rücksicht auf den individuellen Gesundheitszustand des Arbeitnehmers. Die jedem Arbeitgeber obliegende Fürsorgepflicht kann den Arbeitgeber zu weitergehenden Maßnahmen verpflichten. Zeigt ein Arbeitnehmer zum Beispiel Symptome der Kreislaufschwäche, kann es im Einzelfall sogar geboten sein, ihn vollständig von der Arbeit freizustellen – und zwar auch dann, wenn die nach der Arbeitsstättenverordnung kritischen Temperaturen noch nicht erreicht sind.

Die Konstitution der Patienten berücksichtigen

Was für Arbeitnehmer gilt, gilt erst recht für Patienten. Auch sie hat der Praxisbetreiber zu schützen. Die Schutzpflicht ergibt sich aus den Grundsätzen der so- genannten Verkehrssicherungspflicht: Wer Räumlichkeiten dem öffentlichen Verkehr zugänglich macht und damit eine Gefahrenquelle schafft, muss die ihm zumutbaren Maßnahmen zur Minimierung der Gefahren ergreifen. Insoweit kommt es auf den Einzelfall an. Dabei wird man zwar die Vorschriften der Arbeitsstättenverordnung als Richtschnur heranziehen können. Liegen die Raumtemperaturen über 35° C, wird der Arzt in aller Regel seine Praxis schließen müssen. Aber auch unterhalb derartiger Raumtemperaturen kann ein Arzt zum Ergreifen spezieller Maßnahmen verpflichtet sein. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass Patienten mit akuten Erkrankungen von vornherein empfindlicher auf Hitze reagieren können. Deshalb gilt ganz allgemein: Welche organisatorischen oder individuellen Kühlungsmaßnahmen zu ergreifen sind, hängt von der aktuellen gesundheitlichen Konstitution des in der Praxis erscheinenden Patienten ab. Nicht jeder Patient bedarf einer Sofortmaßnahme. Ergeben sich aber Anhaltspunkte für eine individuelle hitzeabhängige Gefährdungslage des Patienten (zum Beispiel aus der Krankengeschichte oder dem aktuellen Zustand), darf der Praxischef die Beurteilung nicht der Praxishelferin an der Anmeldung überlassen oder gar den Patienten erst einmal für eine halbe Stunde im Wartezimmer Platz nehmen lassen. Vielmehr muss sich der Arzt unverzüglich, d. h. unmittelbar nach Erscheinen des Patienten in der Praxis, selbst ein Bild machen. Stellt der Arzt fest, dass die Temperaturen in den Praxisräumen eine Gesundheitsgefahr für diesen Patienten darstellen, muss er sofort geeignete Maßnahmen, unter Umständen sogar einen Transport in ein Krankenhaus veranlassen.


Autor:
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht
Dierks & Bohle Rechtsanwälte, Berlin

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (11) Seite 32-33
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.