Telematikinfrastruktur KIM und Co: Ein Erfahrungsbericht
Die Telematikinfrastruktur wird alle vernetzen – sämtliche Institutionen des Gesundheitswesens – und für einen organisationsübergreifenden Datenaustausch sorgen. Zutritt bekommt nur, wer über eine Institutionskarte, die SMC-B, alias Security Module Card-Typ B, verfügt.
Vor fünf Jahren hätte ich über dieses NERD-Geschwurbel allenfalls milde gelächelt, wenn ich es denn überhaupt zur Kenntnis genommen hätte. Langsam begreife ich jedoch dessen reale Bedeutung, erahne, dass meine Vorstellung zum Thema digitale Kommunikation und deren Umsetzung etwas Romantisches hatte.
Denn jetzt kommt KIM. Diese drei Buchstaben stehen für Kommunikation im Medizinwesen. Letztes Jahr bekam ich bereits die Hardware dafür, und … da hat sich bis heute gar nichts getan. Deswegen praktiziere ich ein anderes "KIM" mit Ihnen hier und jetzt, völlig arglos.
Wussten Sie schon, dass der KIM-Dienst der KBV "KOM-LE" in "kv.dox" umbenannt wurde? Und interessiert Sie das genauso wenig wie mich? Mit unserem Steuerbüro sowie der privatärztlichen Verrechnungsstelle funktioniert der Datenaustausch schließlich seit Jahren perfekt, unaufgeregt, kostenarm. Deren IT-Dienste heißen noch immer so wie am ersten Tag. Kurzum, das ist Technik, die ich mag.
MFG: eMP, EDV und KIM
Neben KIM und Co. gibt es weitere verpflichtende digitale Anwendungen für uns: VSDM, das Versichertenstammdatenmanagement. Sie erinnern sich? Damals als unsere EDV immer wieder stundenweise lahmgelegt wurde vom alten Konnektor. Im Angebot befinden sich ebenfalls der elektronische Medikationsplan (eMP), das elektronische Notfalldatenmanagement (NFDM), das eRezept, die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eAU und die elektronische Patientenakte ePA. "MFG – mit freundlichen Grüßen", kommt mir dabei in den Sinn. LOL, boomer cringe.
Für meine Praxissoftware durchschaue ich nicht mal mehr, welche Produkte der Telematikinfrastruktur schon bezahlt sind. Gefühlt schließe ich alle möglichen und vielleicht auch unmöglichen Verträge in diesem digitalen Angebotsdschungel ab.
Also muss Ordnung rein, so dachte ich mir, und fragte unseren IT-Profi. Etwa drei Monate nach meiner Bestellung, nach Gängen auf das Postamt, Hin- und Hertelefonieren mit der Landesärztekammer, halte ich nun brav meinen elektronischen Heilberufsausweis (eHBA) in den Händen – und kann ihn nicht freischalten, weil mir einfach die Zeit und der Durchblick fehlt. Wenn ich jetzt versuche, das Notfalldatenmanagement im Krankenblatt zu aktivieren, erscheint noch nicht einmal eine Fehlermeldung. Kein Zeichen taucht auf, dass es doch irgendwann funktionieren könnte. Gruselig. Und was nun?
Starke Nerven sind gefragt
Letzte Woche meinte tatsächlich ein freundlicher Patient, dass er seine elektronische Patientenakte mit mir zusammen ausfüllen wollte. Prima, er ist pensioniert, hat Geduld, wir kennen uns seit über 20 Jahren. Das Arzt-Patienten-Verhältnis wird diesen Stresstest voraussichtlich bestehen. Ob meine Nerven für das gesamte Klientel durchhalten werden? Da bin ich mir nicht mehr ganz so sicher. Plötzlich wird es hell in mir und eine Stimme lispelt süß: "Jede Krise hält auch gleichzeitig eine Chance für dich bereit." Doch die harte Realität brüllt zurück: Das ist keine Krise, sondern nur das profane TI-Jammertal. Da gibt es keinen Lerneffekt mehr.
Ich weiß genau, dass die digitalen Anwendungen die Versorgung der Patient:innen verbessern werden. Dafür setze ich mich ein. Aber dass der Weg dorthin so steinig sein würde, das hatte ausgerechnet ich nicht auf dem Radar. Mein Wesen ist von Natur aus technikaffin. In den 80ern trug ich genüsslich die peinlichen Pieps-Uhren während des Unterrichtes, zockte bis zur Tendinitis mit Pac-Man und Tetris, schrieb BASIC-Programme auf dem C64, liebte Spock, ReadyPlayerOne und StarWars, habe auch wegen Prinzessin Leia seit 2019 die Videosprechstunde eingeführt, bekenne mich zur Fernlehre in der Medizin. Wer bin ich denn, dass ich vor der TI klein beigeben würde?
Der lange Kampf mit dem eHBA
Also reiße ich mich zusammen und schnappe mir nochmal den elektronischen Heilberufsausweis, der, wie sein Name schon andeutet, Heilung digital verspricht. QES, die qualifizierte elektronische Signatur, wird die Welt endlich von meiner krakeligen Unterschrift erlösen.
Das Freischalten online klappt mit einigen Hürden. Die nächste Kampfansage der Gebrauchsanweisung lautet, über unsere Praxisverwaltungssoftware die Signatur-PIN des Ausweises zu ändern. Wie um alles in der Welt soll das gehen? Nach einer halben Stunde Recherche im Praxisprogramm finde ich dazu keine Information. Also stecke ich mutig die Karte in unser stationäres Lesegerät, was daraufhin sinnlose Reaktionen zeigt. Vielleicht funktioniert es mit dem mobilen Apparat aus meiner Hausbesuchstasche? Tatsächlich werde ich hier fündig und kann die Karte teilweise freischalten. Nur signieren, das geht noch nicht mit dem kleinen Wunderwerk. Das wird definitiv morgen ein Fall für die Hotline werden. Morgen? Pardon, heute natürlich, denn Mitternacht ist schon vorbei. Und so stolpere ich von einem fragwürdigen Erfolgserlebnis zum nächsten, wohlwissend, dass ich die technische Umsetzung auch delegieren könnte – für einen bestimmt nicht unerheblichen Aufpreis.
Würde es mir dadurch vielleicht besser gehen? Würde die Praxis damit wirklich funktionieren? Würde ich dann nicht wieder in seligen digitalen Blütenträumen schweben, fernab von jeder Realität, das Bodenpersonal ob seiner Inkompetenz verachtend, ihm die Abstürze des Systems in die Schuhe schiebend?
Medizin und Digitalisierung sind mittlerweile fest miteinander verbunden. KIM und Co. haben mich daher gut im Griff, obwohl ich mir das eigentlich umgekehrt vorgestellt hatte. Deswegen wage ich zum Schluss eine Prognose für unsere smarte Zukunft: Irgendwann und irgendwie klappt´s dann doch mit der TI.
Autorin
Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (4) Seite 24-25
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