Zuweisung gegen Entgelt Kooperation oder Korruption?

Praxisführung Autor: J. Hofmayer

Korruption im Gesundheitswesen ist ein Reizthema für Medien, Experten, Parteien und nicht zuletzt Patienten. Bestimmte Kooperationen sind erwünscht, ja werden sogar gefördert; aber wo endet Kooperation und wo beginnt die unzulässige Zuweisung gegen Entgelt? Und wie breit ist die Grauzone?

Zuweisung gegen Entgelt – diese Vorstellung schürt Ängste, vor allem bei Patienten: Werden unnötige Leistungen verordnet, nur weil der Arzt dadurch einen finanziellen Vorteil hat? Schränkt der Arzt die freie Erbringerwahl ein, um dem Patienten die beste Behandlung zu empfehlen, oder will er sich nur zusätzliches Einkommen sichern? Was ist erlaubt und was nicht? Wie kann man Korruption erkennen und wie lässt sie sich ahnden?

Viele Fragen. Sie zeigen vor allem eines: dass die derzeit bestehenden Regelungen nicht transparent sind. Denn Regelungen bestehen – und es werden ständig mehr.

Zuweisung gegen Entgelt – das fällt in den Bereich, der Korruption genannt wird. In den Medien finden sich regelmäßig Aussagen dazu, dass die Korruption im Gesundheitswesen die Krankenkassen – und damit den Beitragszahler – Milliarden kostet. Wer nachbohrt, findet aber nicht eine belastbare Zahl. Alle Angaben basieren auf Schätzungen, denn die Dunkelziffer bei diesem Thema ist hoch. Ein Beitrag zur Korruption im Gesundheitswesen würde wohl auch kaum Beachtung finden, wenn in der Überschrift kleinere Zahlen genannt würden.

Die Gesetzeslage

Im Juni 2012 sorgte der Große Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit einem Beschluss für Aufregung: Kassenärzte, die bei der Verordnung von Medikamenten die Präparate eines bestimmten Herstellers bevorzugen, weil sie dafür Prämien erhalten, machen sich nicht der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr strafbar. Die politischen Parteien drängten darauf, einen Straftatbestand zu schaffen, um den Ärzten das Handwerk zu legen. Interessanterweise sollte der Straftatbestand nicht ins Strafgesetzbuch, sondern ins Sozialgesetzbuch (SGB) V. Man konnte sich allerdings kurz vor der Bundestagswahl nicht mehr einigen.

Folgende Regelungen zur unzulässigen Zuweisung gegen Entgelt bestehen derzeit:

  • § 128 SGB V: Unzulässige Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten,
  • § 73 Abs. 7 SGB V: Verbot der Zuweisung gegen Entgelt,
  • § 31 der Musterberufsordnung Ärzte: Unerlaubte Zuweisung von Patienten […] gegen Entgelt.

Aber was ist nun erlaubt? Scholz [1] schreibt dazu: „Der Patient ist angesichts der Komplexität des Gesundheitswesens mit seinen zahlreichen Produkten, Anbietern und Berufsgruppen, deren Qualifikation, Qualität sowie Aufgaben- bzw. Indikationsbereich sich dem Laien nur teilweise erschließen, auf Ratschläge und Empfehlungen des Arztes als Ausfluss von dessen Fürsorgepflicht angewiesen. Die sachliche Information im Rahmen der ärztlichen Aufklärung und Beratung sowie die neutrale Darstellung von Vor- und Nachteilen von Angeboten auf dem Gesundheitsmarkt gehört daher zu den ureigensten ärztlichen Aufgaben nicht nur des Hausarztes.“

Ganz eindeutig zu ahnden sind die Fälle, in denen die Leistung, zu der zugewiesen wird, medizinisch nicht notwendig ist. Hier macht sich der Zuweiser gegebenenfalls sogar der Beihilfe zur Körperverletzung strafbar.

Liegt ein hinreichender Grund für eine Empfehlung vor, so ist diese Zuweisung zulässig. Dies mag bereits aus medizinischen Gründen der Fall sein, wenn z. B. ein Orthopäde sehr gute Erfahrungen mit einem Orthopädietechniker bei handwerklich zu fertigender Ware gemacht hat.

Geschäfte auf Gegenseitigkeit

Entgelt bezeichnet die in einem Vertrag vereinbarte Gegenleistung. Ein entgeltlicher Vertrag ist demnach ein gegenseitiger Vertrag, bei dem Leistung und Gegenleistung in einem Synallagma (Gegenseitigkeitsverhältnis) stehen. Entgelt hat dabei nichts mit Geld zu tun, sondern umfasst jegliche Gegenleistung. Zwischen der Zuweisung und dem zufließenden Vorteil muss Kausalität bestehen. Die Frage, wann man von einer Gegenleistung ausgehen kann und in welchen Fällen diese unzulässig ist, ist objektiv oftmals schwer zu beantworten. In der öffentlichen Diskussion spielen häufig sehr subjektive Aspekte – etwa das persönliche Umfeld und dessen Umgang mit Gefälligkeiten – eine Rolle: Ein privater Unternehmer wird die Frage wohl anders beantworten als ein Beamter.

Es gibt ganz klare Fälle der unzulässigen Zuweisung gegen Entgelt, z. B. Fälle, in denen dem Zuweiser je zugewiesenem Patienten eine Prämie gewährt wird oder in denen eine systematische gegenseitige Patientenzuweisung erfolgt. Es gibt aber auch Grenzfälle: So dürfte eine einmalige Einladung zum Abendessen sicherlich kein Entgelt darstellen, auch wenn die Bundesärztekammer eine Geringfügigkeit nur bei einer Gegenleistung bis ca. 50 Euro annimmt.

Geförderte Kooperationen

Zusammenschlüsse von niedergelassenen Ärzten zu ärztlichen Kooperationen sind in der ambulanten Patientenversorgung heute alltäglich. Das war nicht immer so. Nach dem generellen Verbot einer gemeinsamen ärztlichen Tätigkeit aus dem Jahr 1937 konnten Ärzte seit dem 59. Deutschen Ärztetag 1956 mit einer Ausnahmegenehmigung der Ärztekammer eine Gemeinschaftspraxis errichten. 1968 wurde die generelle Möglichkeit der gemeinsamen Ausübung des ärztlichen Berufs geschaffen. Erst seit der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer vom 11.11.2004 wurden vielfältige Kooperationsmöglichkeiten von niedergelassenen Ärzten zugelassen. Ziel war, die Patientenversorgung und die Berufszufriedenheit der Ärzte zu stärken, dabei aber den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung sowie die Transparenz über die jeweilige Kooperationsform und die daran Beteiligten nicht zu vernachlässigen.

Gerade durch das 2007 in Kraft getretene „Vertragsarztrechtsänderungsgesetz“ (VÄG) wurden zahlreiche zusätzliche Kooperationsformen wie Medizinische Versorgungszentren, (Teil-) Berufsausübungsgemeinschaften und überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften gefördert, um die vertragsärztliche Berufsausübung effizienter und damit wettbewerbsfähiger zu gestalten. Für diese Kooperationsformen sind zum Teil auch Vorteile in der Honorarabrechnung geregelt, z. B. Zuschläge für die gemeinschaftliche Behandlung von Patienten. Nicht erlaubt werden allerdings sog. Kickback-Kon-stellationen, bei denen ein Arzt eines therapieorientierten Fachgebietes (z. B. Gynäkologe) eine Berufsausübungsgemeinschaft eingeht mit einem Arzt eines Methodenfaches (z. B. Labor), um das berufsrechtliche Verbot der Zuweisung gegen Entgelt zu unterlaufen. Dass die zulässigen Kooperationsmodelle aber auch unzulässige Zusammenarbeit fördern können, lässt sich nicht völlig von der Hand weisen.

Ähnlich verhält es sich bei den Kooperationsmodellen des § 115a SGB V, der vor- und nachstationären Behandlung im Krankenhaus. Diese prä- und poststationäre Behandlung kann dadurch erbracht werden, dass hierzu ein Vertragsarzt vom Krankenhaus beauftragt wird, der die Leistungen sogar in der eigenen Praxis erbringen kann. Auch bei diesen Modellen können unzulässige Zuweisungen gegen Entgelt folglich nicht ausgeschlossen werden. Grundsätzlich muss aber gelten, dass gesetzlich vorgesehene Kooperationsmodelle keine unzulässige Zuweisung gegen Entgelt darstellen.

Grauzonen

Fälle aus Grauzonen lassen sich zahlreich benennen: Jährliche oder monatliche Einladung zum Abendessen, Einladung in den Urlaub, geringe Miete für zur Verfügung gestellte Räumlichkeiten etc. Zu berücksichtigen ist aber, ob verwandtschaftliche oder freundschaftliche Verbundenheit der Auslöser für eine „Zuwendung“ ist und damit gerade nicht die berufliche Kooperation. Dabei sollte man die Causa Christian Wulff nicht aus den Augen verlieren, um keine vorschnelle Be- und Verurteilung des Sachverhaltes vorzunehmen. Überspitzt könnte man nämlich auch fragen, ob ein Hausarzt die Geburtstagseinladung eines befreundeten Radiologen ausschlagen muss, wenn dieser Patienten des Hausarztes behandelt, oder ob ein Orthopäde eine Physiotherapeutin heiraten darf.

Spannend ist auch die Frage von Beteiligungen an einer Gesellschaft: „Der BGH stellt zur Abgrenzung darauf ab, ob der Arzt oder ein Familienangehöriger als Strohmann oder Treuhänder bei objektiver Betrachtung durch die Patientenzuweisung einen spürbaren oder nur unmaßgeblichen Einfluss auf den aus seiner Beteiligung generierten Ertrag hat, was grundsätzlich vom Gesamtumsatz des Unternehmens, dem Anteil der Verweisungen dorthin und der Höhe der Beteiligung abhängt.“ [2] Das bedeutet, dass der Kauf von Aktien eines großen Pharmakonzerns kein Problem darstellt. Genauer zu betrachten ist es dagegen, wenn ein Arzt in ein kleines Unternehmen investiert, das teure Spezialarzneimittel herstellt und bei dem der Arzt durch sein Verordnungsverhalten den Umsatz direkt beeinflussen kann.

Transparenz der Vorschriften

Eine empirische Studie von Prof. Dr. Kai-D. Bussmann [3] zeigt sehr deutlich, dass die vorhandenen Regelungen als intransparent und praxisfremd empfunden werden. Demnach halten 39 % der Ärzte das berufsrechtliche Verbot der Zuweisung gegen Entgelt für praxisfern, 51 % gar halten die Rechtslage für unübersichtlich. Dass Zuweisungen gegen Entgelt verboten sind, wissen die meisten (83 %), allerdings vermutet (oder hofft) immerhin ein Viertel der Ärzte, dass es zahlreiche Ausnahmen gibt. Dadurch entwickelt sich bei diesem Thema wenig Unrechtsbewusstsein. Dazu kommt, dass es bei der Zuweisung gegen Entgelt keinen Geschädigten gibt, solange eine Überweisung und die abgerechneten Leistungen medizinisch erforderlich sind. Aus diesen Gründen wird die Zuweisung gegen Entgelt allenfalls als Bagatelle, meist nicht einmal als (Bagatell-)Delikt empfunden. Auch die Entdeckungsrate dieser „Tat“ ist sehr gering, da die „Täter“ unter sich bleiben, schriftliche Verträge die Ausnahme sind, die Entgelte in der Regel außerhalb der Bücher gewährt werden und somit Beweise schwer zu finden sind.

Verbindliche Regelungen für alle

Will man die Thematik „Zuweisung gegen Entgelt“ in den Griff bekommen, ist es zunächst erforderlich, klare, transparente und praxisnahe Regelungen zu schaffen, die es den Beteiligten ermöglichen, das Verbotene zu erkennen und sich an die Verbote zu halten. Zudem müssen die Regelungen durchsetzbar sein, d. h. das Entdeckungsrisiko muss erhöht werden, Kontrollen müssen durchgeführt werden.

Zu schnell wird der Ärzteschaft und ihren Institutionen aber Untätigkeit vorgeworfen. Weder die Ärztekammern noch die Kassenärztlichen Vereinigungen noch die Krankenkassen haben Ermittlungsbefugnisse, die es ihnen erlauben, in diesem Bereich aktiv zu werden. Sie können nur handeln, wenn sie Hinweise von Dritten oder der Staatsanwaltschaft erhalten. Dann können und müssen sie Verstöße ahnden. Entschieden entgegenzutreten ist der Forderung des Bundesärztekammer-Präsidenten Frank Ulrich Montgomery vom Januar 2013, der sagte: „Unser Kernproblem ist, dass wir kein Recht haben, uns Zutritt zu Akten, zu Wohnungen oder Praxen zu verschaffen. Dazu braucht es eine Änderung des Rechts.“ Die Ermittlungsbehörden in Deutschland sind die Staatsanwaltschaft und die Polizei – und das ist auch gut so. Ärztliche Institutionen haben andere Aufgaben zu leisten als die Strafverfolgung ihrer Mitglieder.

Im Juli kündigte der bayerische Justizminister Winfried Bausback einen Gesetzentwurf zur Ahndung der Korruption bei Vertragsärzten an. Der Tatbestand soll nun – richtigerweise – ins Strafgesetzbuch als § 299a „Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen“ aufgenommen werden. Er bezieht nicht nur die freiberuflichen Ärzte, sondern korrekterweise alle Angehörigen eines Heilberufes mit ein. Es bleibt zu hoffen, dass damit für alle Beteiligten verständliche und verbindliche Regelungen geschaffen werden.


Autor:
Leiter des Kompetenzzentrums Honorarprüfung bei der KV Bayerns
93161 Sinzing

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (20) Seite 94-99
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.