Sozialmedizin Private Versicherungen

Praxisführung Autor: Jürgen Herbers

In der sozialmedizinischen Reihe haben wir uns bisher mit der Sozialgesetzgebung beschäftigt. Hier herrschen Gesetze, die durch Richtlinien und Begutachtungsanleitungen konkretisiert und durch Widerspruchs- und Gerichtsverfahren eingefordert werden können. Nun soll es um Regelungen der privaten Versicherungswirtschaft gehen, die zwar auch Gesetzen wie dem Bürgerlichen Gesetzbuch, Versicherungsvertragsgesetz und Versicherungsaufsichtsgesetz unterliegen, aber von Versicherung zu Versicherung und von Tarif zu Tarif erheblich variieren können. Daher kommt es hier ganz wesentlich auf die vertraglichen Bestimmungen, also das „Kleingedruckte“ an. Einige allgemeingültige Prinzipien sollen hier aber dargestellt werden.

Private Krankenversicherung (PKV)

Die Leistungen der PKV sind nicht an das Wirtschaftlichkeitsgebot des SGB V gebunden. Daher werden auch Leistungen bezahlt, die nicht den strengen Regeln der evidenzbasierten Medizin entsprechen. Zunehmend stellen die Privatkassen aber höhere Anforderungen an Diagnostik und Therapie bezüglich wissenschaftlicher Absicherung, insbesondere bei Patienten mit längerfristig hohem Bedarf.


Einige Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sind der privaten Krankenversicherung allerdings auch unbekannt, wie z. B.:

  • kostenlose Mitversicherung von Familienmitgliedern
  • Haushaltshilfen
  • Mutter-(Kind-)Kuren
  • Lohnersatzleistungen bei Betreuung eines kranken Kindes

Es ist teilweise schwierig, Leistungen bezüglich Psychotherapie und stationärer Rehabilitationsmaßnahmen zu erhalten; auch Hilfsmittel sind teilweise vertraglich eingeschränkt.

Krankentagegeld

Bei Arbeitsunfähigkeit leistet auch die PKV Lohnersatzleistungen, das Krankentagegeld, wenn es vertraglich vereinbart ist. Hier ist bei der Arbeitsunfähigkeit zu unterscheiden zwischen abhängig Beschäftigten (ähnliche Regelungen wie in der GKV) und Selbstständigen. Letztere sind in der Regel nur dann arbeitsunfähig, wenn sie auch nicht leitend oder aufsichtsführend tätig sein können (wobei in der Regel bei bis zu 5 Mitarbeitern davon ausgegangen wird, dass der Selbstständige hier auch mitarbeiten muss, um den Betrieb wirtschaftlich zu führen), diesbezüglich kennt die PKV den Begriff der teilweisen Arbeitsunfähigkeit; in der GKV gilt dagegen die "Alles-oder-nichts-Regel".

Auf den Anfragen der PKV findet sich regelmäßig die Frage nach Berufsunfähigkeit. Die Musterbedingungen sehen vor, dass mit Eintritt der Berufsunfähigkeit die Versicherung endet und somit auch die Zahlungen eingestellt werden. Hier darf also das Kreuz nicht leichtfertig gesetzt werden.

Als berufsunfähig im Sinne der Tagegeldversicherung gilt jemand, der nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50 % erwerbsunfähig ist. Dieser Begriff deckt sich NICHT mit dem Begriff der Erwerbsunfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung, sodass es geschehen kann, dass jemand berufsunfähig im Sinne der PKV ist, aber nicht erwerbsunfähig im Sinne der Rentenversicherung; er erhält dann keinerlei Geld, wenn er nicht anderweitig abgesichert ist.

Beispiel:

Ein selbstständiger 42-jähriger Stuckateur-Meister im Drei-Mann-Betrieb erleidet einen Bandscheibenvorfall der HWS. Auf Dauer wird er seine Tätigkeit im zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr ausüben können, ist also berufsunfähig im Sinne der Krankentagegeldversicherung. Seine Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte körperliche Tätigkeiten ohne Zwangshaltungen beträgt aber mindestens sechs Stunden täglich, er ist also im Sinne der Rentenversicherung nicht erwerbsgemindert (auch nicht teilweise). Er erhält also von heute auf morgen kein Geld mehr – weder von der PKV noch vom RVT.

Private Unfallversicherung (PU)

Bei der PU versichert man sich gegen die Folgen eines Unfalles. Als Hausarzt wird man in der Regel um Angaben gebeten zu Vorerkrankungen, die den Heilungsverlauf der Unfallfolgen beeinträchtigen könnten. Zunächst einmal prüft die Versicherung aber, ob die Gesundheitsschädigung tatsächlich auf dem fraglichen Unfall beruht. Schließlich sollen die Unfallfolgen auch quantitativ eingeordnet werden. Dies geschieht durch Beurteilung anhand der Gliedertaxe, die für den kompletten Verlust oder vollständige Funktionsunfähigkeit z. B. einer Extremität festlegt, in welchem Ausmaß die fiktive Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) besteht. Die Gliedertaxe ist den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) zu entnehmen. So zieht der Verlust einer Hand im Handgelenk beispielsweise eine MdE von 55 % nach sich. Somit würden 55 % der vereinbarten Versicherungssumme ausgezahlt. Ist die Funktionsfähigkeit noch zur Hälfte erhalten, beträgt die MdE die Hälfte von 55 %, somit 27,5 %. In der Regel wird diese Beurteilung aber den Unfallchirurgen und Orthopäden übertragen.

Haftpflicht-Schäden

Nach Unfällen mit Fremdverschulden, sehr oft Pkw-Unfällen, werden die Patienten nach Erstvorstellung im Krankenhaus oder bei einem Unfallchirurgen von uns Hausärzten weiterbetreut. Hier ist die Erhebung eines genauen Befundes beim Erstkontakt wichtig, da von der eingeschalteten Versicherung oder einem Gericht eine Beurteilung aufgrund exakt erhobener Befunde erwartet wird.

Im Formular, welches meist auszufüllen ist, wird neben Anamnese, Befund und Diagnose auch die Beurteilung der MdE in Prozent erwartet, abgestaffelt für bestimmte Zeiträume. Es handelt sich hier um eine fiktive MdE, die auch z. B. bei Rentnern abgefragt wird.

Ein Anhaltspunkt beim Ausfüllen könnte sein, dass Arbeitsunfähigkeit wohl eine MdE von 100 % bedeuten dürfte und dass es unwahrscheinlich ist, dass eine MdE binnen eines Tages von 100 auf 0 sinken wird, also eine gewisse Abstaffelung bis zur kompletten Ausheilung zu erwarten ist.

In solchen Fällen könnte, entsprechende Befunde vorausgesetzt, z. B. eine MdE von 100 % für zwei Wochen, dann nochmals eine über 40 % über weitere zwei Wochen und schließlich nach dem letzten Kontakt, an dem noch keine Beschwerdefreiheit bestand, nochmals 20 % für die letzten zwei Wochen angenommen werden.

Es handelt sich hierbei um eine gutachterliche Stellungnahme, die nicht wie ein (ausführlicher) Bericht, sondern wie ein Gutachten abzurechnen ist.


Autor:
Facharzt für Allgemeinmedizin, Sozialmedizin, Sportmedizin,
Ernährungsmedizin (DAEM/DGEM), Naturheilverfahren und Palliativmedizin
74385 Pleidelsheim

Bisher in dieser Serie erschienene Beiträge finden Sie hier.

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (10) Seite 62-63
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.