Sicher beim Hausbesuch Rote Jacke wirkt deeskalierend

Praxisführung Autor: H. Schnering

Je größer die Einzugsgebiete der Bereitschaftsdienste werden, desto unpersönlicher wird das Arzt-Patient-Verhältnis bei solchen Diensten. Entsprechend wächst die Gefahr, dass es bei einem Hausbesuch zu Aggressionen kommt. Eine deutlich beschriftete Jacke kann den Arzt als solchen erkennbar machen.

Bei der zunehmenden Vergrößerung der Dienstbereiche ist es ein großer Zufall, wenn Arzt und Patient einander persönlich kennen. Während bei einem Einsatz des Rettungsdienstes eine Gruppe in auffälliger Dienstkleidung einem als solches erkennbaren Einsatzfahrzeug entsteigt, das meist auch demonstrativ vor dem Hauseingang abgestellt wird, kommt der Hausbesuchsarzt mit seinem Privatfahrzeug und in Zivil. Woher weiß der Patient also, dass der Besucher der angeforderte Hausbesuchsarzt ist?

Notarzt als Anregung

Der Vergleich mit einem Notarzteinsatz brachte mich auf den Gedanken, im Bereitschaftsdienst ebenfalls eine auffällige, sozusagen „warnfarbene“ Jacke zu tragen, in deren Taschen sich sogar die wichtigsten Papiere, Kugelschreiber, Funktelefon und Taschenlampe verstauen lassen. Mit Hilfe eines Werbegrafikers erhielt diese Jacke, die übrigens aus dem Baumarkt stammt und im Sommer auch als Weste getragen werden kann, die Rückenaufschrift „ARZT“ und über der linken Brusttasche meinen Namen. Die Jacke hat den Vorteil, wetterfest und auch auf große Entfernung hin sichtbar zu sein. Seit ich diese Jacke trage, wurde ich nicht einmal wieder gefragt, ob ich mich denn ausweisen könne oder warum ich denn erst jetzt käme. Der Ton der Begrüßung ist deutlich freundlicher geworden. Fazit: Die rote Jacke wirkt deeskalierend.

Auch ein Namensschild hilft

Wer es nicht so uniform mag, für den ist ein Namensschild eine simple Lösung, die ebenfalls als „Eskalationsprophylaxe“ wirkt. Aus der Praxis oder vielleicht am Computer mit der deutlichen Aufschrift „Kassenärztlicher Notdienst“ erstellt, kann es die Identität des Trägers deutlich machen. Und warum nicht eine Kopie des (dann natürlich im Original mitzuführenden) Arztausweises in einer Hülle an der Bekleidung befestigen?

Die aus meinen Erfahrungen entstandene „Checkliste“ zur Einschätzung potenzieller Gefahren (rechte Seite) zeigt Möglichkeiten, eine Eskalation im Vorfeld einer „unharmonischen“ Arzt-Patient-Begegnung zu vermeiden.

Keinesfalls dürfen wir uns provozieren lassen. Keine Diskussionen dürfen wir über vorhergehende Behandlungen, gesetzliche Vorschriften oder „das Gesundheitswesen im Allgemeinen“ aufkommen lassen, da diese sehr schnell eskalieren können. ▪

Kontakt
Dr. med. Holger Schnering
Facharzt für Allgemeinmedizin
02977 Hoyerswerda


Potenzielle Gefahren beim Hausbesuch richtig einschätzen

Anfahrt: Wohin geht der Besuch – wer wohnt da vorwiegend? Was gibt mir die Leitstelle durch? Was lässt der Rufgrund vermuten?

Ankunft: Erster Eindruck der Gegend, des zu besuchenden Hauses. Auto nahe am Hauseingang abstellen, aber so, dass es nicht zugeparkt und jederzeit ungehindert weggefahren werden kann.

Betreten: Ggf. bei der Leitstelle melden und Zeitpunkt der erneuten Kontaktaufnahme vereinbaren. Erster Eindruck des Treppenhauses: Beleuchtung, Geruch, Optik, Sauberkeit, Geräusche, andere Wohnungstüren, Dekoration der Wände.
Hinweg (= Rückweg) einprägen: Wo sind Sackgassen, die zur Falle werden könnten? Ist das Treppenhaus zugestellt?

Wohnung: Erster Eindruck von außen: Zustand der Wohnungstür, Geruch, Geräusche, Namensschild, Beschriftung der Klingel. Klingeln, zurücktreten und auf sicheren Stand achten, Tür beobachten.

Eintreten: Kurzer Blickkontakt. „Kassenärztlicher Notdienst, Sie hatten einen Hausbesuch angefordert?“ Kurz mit Namen vorstellen, kein Handschlag! Hände, Gestik und Mimik des Öffnenden beobachten. Versuchen, das Innere der Wohnung einzuschätzen. „Wo befindet sich der Kranke? Würden Sie bitte vorausgehen, Sie kennen sich doch hier aus.“ Wohnung taxieren, Zimmer des Patienten einschätzen (Beleuchtung, Optik, Geruch, Geräusche, Getränkeflaschen, Zigarettenkippen, Ordnung, Dekoration). Eventuell Fluchtweg und Sackgassen registrieren. Ist der Rückweg ohne Slalom zu bewältigen und die Tür selbst zu öffnen?

Behandlung: Patienten und weitere Anwesende kurz einschätzen und beobachten. „Kassenärztlicher Notdienst, Sie hatten einen Hausbesuch angefordert?“ Kurz mit Namen vorstellen. Nach den Beschwerden (und „Wünschen“) fragen, geeignete Sitzmöglichkeit finden – ggf. auch auf den Knien schreiben! Dabei Rücken frei und geeignete Rückzugsmöglichkeit offen halten:

  • Möglichst Tisch o. Ä. zwischen sich und einem potenziellen Aggressor. Auch ein leichter Stuhl, den wir vor uns halten, kann die körperliche Unversehrtheit bewahren.
  • Nicht „öffentlich“ behandeln – Angehörige und weitere Zuschauer in einen anderen Raum schicken.
  • „Um Sie behandeln und Ihnen helfen zu können, müsste ich Sie untersuchen. Ist das möglich?“
  • Untersuchung möglichst „Rücken zur Wand mit freiem Fluchtweg“.

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (7) Seite 34-35
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.