Onkologische Versorgung Anerkennung für Strategie der Krebsbekämpfung – aber auch Kritik an mangelnder Partizipation
Der Bundestagsabgeordnete Tino Sorge ist fasziniert von der Innovationsgeschwindigkeit in Richtung immunonkologischer Therapien. Für Menschen, die noch 2013 austherapiert waren, gebe es jetzt Pespektiven durch Forschung, Zusammenarbeit von Politik mit allen Akteuren, so der CDU-Politiker auf dem Forum Immunonkologie 2021. Kritisch sieht er die Diskussion um die „böse Industrie“ und die „gute öffentliche Forschung“. Schließlich könne man doch mit geballten Daten gemeinsam einen großen Schritt nach vorne machen. Bürger sollte man ermutigen, Daten nutzbar zu machen. Man müsse sich weiter vernetzen und über die Finanzierung reden, gerade im Bereich der Volkskrankheiten, also nicht nur Krebs betreffend, sondern auch Adipositas und Demenz.
Die Gesundheit stehe in der Europäischen Union mit ihren 440 Mio. Bürgerinnen und Bürgern im Fokus, so Professor Dr. Angelika Niebler, Mitglied im Europäischen Parlament. Man habe beispielsweise im Rahmen der Pandemie viel Geld in die Pharmaindustrie investiert, um Produktionskapazitäten für Impfstoffe schnell hochzufahren, und die Entwicklung eines Impfzertifikates, was inzwischen von 42 Ländern auf vier Kontinenten anerkannt werde, sei parlamentarisch begleitet worden. Ein wichtiges Thema sei der Kampf gegen Krebs. 42 Einzelmaßnahmen seien verabschiedet worden, die auch nationale Initiativen widerspiegelten. Zudem gibt es, wie Nieber berichtete, im Parlament einen Sonderausschuss Krebsbekämpfung.
Es braucht ein sehr starkes Bündnis aller Akteuere Die Abgeordnete berichtete über drei große Ziele. Man wolle:
- Den Wissenstransfer mit der Zivilgesellschaft, mit Patientenorganisationen, Wissenschaftlern und Ärzten aus der Praxis durch das Zurverfügungstellen von Plattformen beschleunigen.
- Massiv in die Krebsforschung investieren – 4 Mrd. Euro seien dafür allein für 2023 vorgesehen, das Forschungsprogramm sehe bis 2027 100 Mrd. Euro vor.
- Den Aufbau eines europäischen Gesundheitsdatenraumes.
Ziel sei, die Erfahrungen aus den 27 Mitgliedstaaten – von der Prävention über frühzeitige Diagnose und den Zugang zur Versorgung bis zur Verbesserung der Lebensqualität unheilbar Erkrankter – zusammenzubringen, so die Parlamentarierin.
Die Nationale Dekade gegen den Krebs habe 2019 begonnen, erinnerte Professor Dr. Carsten Bokemeyer, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, weil Krebs mit jährlich 520.000 neuen Erkrankungen in Deutschland und steigenden Zahlen in den nächsten Jahren nicht zu verleugnen sei und weil es im Kampf gegen Tumoren ein unglaublich starkes Bündnis brauche, das die Krebsforschung und die Versorgung stärke. Es gehe um Einbeziehung der zentralen Akteure und auch der Patienten.
Theoretisch sei die Krebsinzidenz in der Pandemie gesunken, bemerkte der Klinikdirektor bezüglich der Daten onkologischer Spitzenzentren. Das entspreche aber nicht der Realität: Die Menschen seien während der Pandemie einfach nicht mehr ins Krankenhaus gekommen. „Es muss sich erst noch zeigen, was daraus resultiert.“
Das Kuratoriumsmitglied der Brystol Myers Squibb Stiftung Immunonkologie zeigte sich zufrieden mit dem „tollen System“ für die onkologische Versorgung in Deutschland. Es gebe auf unterster Ebene Organkrebszentren, darüber klinisch orientierte onkologische Zentren an meist größeren Krankenhäusern und darüber wiederum die onkologischen Spitzenzentren. Es sei ein System, bei dem versucht werde, alle mit einzubeziehen, niedergelassene Kollegen und alle anderen Bereiche. Die 15 Spitzenzentren müssten zudem mit Gutachten ihre Spitzenversorgung beweisen.
Weiterhin gebe es jetzt das von den Spitzenzentren vorangetragene Netzwerk für personalisierte Medizin. Hier wolle man verstehen, wie Innovation beim Patienten wirke. Im Tumorzentrum am UKE sei extra ein Patientenbeirat gegründet worden. Man könne von den Patienten extrem viel lernen.
Die Darmkrebspatientin und Patientensprecherin Claudia Liane Neumann sieht bei der Zusammenarbeit mit Patienten jedoch Nachholebedarf. Der Wunsch nach Patientenpartizipation sei größer als es die Tatsachen hergäben, sowohl in der Nationalen Dekade als auch auf europäischer Ebene. Die Webseite der Dekade bspw. sei nicht sehr transparent für Patienten. Dabei sei die Resonanz zum Thema sehr groß, wenn sie z.B. in sozialen Netzwerken über ihre Erkrankung oder über Erfolge der Deutschen Stiftung junge Erwachsene mit Krebs berichte.
Auf der Webseite der Dekade heiße es, Forscher, Ärzte und Gesundheitspolitiker würden Patienten vertreten: „Aber wo ist der Schnittpunkt mit der Zielgruppe? Warum vertreten nicht Patienten sich selbst?“ Die Kompetenz liege doch bei ihnen. Es gebe auch diverse Arbeitsgruppen, aber keine Arbeitsgruppe der Patienten, wo die Erkrankten ihre Anforderungen alltagsspezifisch oder geschlechtsspezifisch definieren könnten. Die Zielgruppe müsse von der Dekade gegen den Krebs deutlicher angegangen werden. Als positiv beim European Cancer Plan bezeichnete die Patientenvertreterin, dass der Blick auch auf die Zeit nach einer überstandenen Krebserkrankung gelegt werde.
Quelle: Forum Immunonkologie 2021