Frage der Einstellung Blick auf psychisch Kranke hat sich gewandelt – nicht nur zum Guten
Dazu, wie sich die Haltung der Menschen gegenüber bestimmten psychischen Erkrankungen wandelt, gibt die Deutsche Langzeitstudie zum Stigma psychischer Krankheit* interessante Antworten. Diese Untersuchung startete in den 1990er Jahren mit mehreren Querschnittserhebungen, wurde 2001 erstmals repliziert und mit zwei weiteren Erhebungswellen in den Jahren 2011 und 2020 bis heute fortgeführt, berichtet ein Autorenteam um Prof. Dr. Georg Schomerus von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig. Der Schwerpunkt der Studie liegt auf den Krankheitsbildern Depression und Schizophrenie.
Das Image von psychischen Erkrankungen wechselt
Eine wichtige Erkenntnis aus den Daten ist, dass das Wissen und die Einstellung der deutschen Bevölkerung zu den psychischen Erkrankungen im Lauf der Jahre gewissen Dynamiken unterliegt. Die allerdings können, je nach Krankheitsbild, in die eine, sehr wohl aber auch in die andere Richtung weisen.
Hinsichtlich depressiver Störungen vertreten heute viele die Ansicht, dass es keine klare Trennlinie zwischen psychischer Gesundheit und der Erkrankung gibt, sondern vielmehr einen fließenden Übergang, erläutern die Autoren. Sie bezeichnen dies als das Kontinuummodell einer psychischen Erkrankung. Die Beschreibung depressiver Symptome ruft heute deutlich weniger negative Gefühle oder Reaktionen hervor als früher, so Prof. Schomerus und Kollegen. Im Jahr 2011 waren 42,5 % der Befragten der Meinung, dass die Symptome einer Depression einem Kontinuum folgen. Neun Jahre später teilten diese Ansicht schon 46,3 %.
Der Blick von Außen
Wie man mit der eigenen psychischen Erkrankung oder der eines Anderen umgeht, hängt ganz wesentlich von den gesellschaftlichen Vorstellungen zu Ursache, Verlauf, Auswirkungen und Behandlung der Störung ab. Dieser kulturelle Kontext wird als externe Realität bezeichnet.
Die Einstellung der Gesellschaft gegenüber der psychischen Störung ist für die Patienten und ihre Angehörigen sehr wichtig. Denn Ausgrenzung und Stigmatisierung belasten die Betroffenen zusätzlich, während der offene Umgang mit der Krankheit entlastend wirkt.
Bei der Schizophrenie ist die Tendenz entgegengesetzt. 2011 hingen noch 26,1 % der deutschen Bevölkerung der Vorstellung eines Kontinuums an, im Jahr 2020 waren es nur mehr 19,8 %. Demnach erscheint den Menschen eine Schizophrenie heute eher fremdartiger und beängstigender als noch vor gut zehn Jahren.
Woran das liegt? Ein Grund dürfte sein, dass Depressionen weiter verbreitet sind als die psychotischen Erkrankungen. Über Depressionen wird öfter berichtet und insgesamt zeichnen die Medien von den depressiven Störungen ein ausgewogeneres Bild als von den schizophrenen. Berichte über Schizophrenie würden im Wesentlichen auf Verbrechen fokussieren, kritisieren die Leipziger Kollegen, Therapiemöglichkeiten kaum erwähnt.
Auch die Ansichten zu Menschen mit einer Abhängigkeit haben sich keineswegs zum Positiven gewandelt, eher das Gegenteil ist der Fall. Unter den psychischen Leiden werden die Suchterkrankungen nach wie vor am heftigsten stigmatisiert.
Um die gesellschaftliche Akzeptanz von Menschen mit Schizophrenie oder mit Abhängigkeit zu verbessern, sind gezielte Entstigmatisierungskampagnen vonnöten, beschreiben Prof. Schomerus und Kollegen. Den größten Erfolg versprechen sie sich von solchen Maßnahmen wie der Kampagne der Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern**, die den Kontakt zwischen Betroffenen und deren Angehörigen untereinander und mit Psychologen, Sozialarbeitern, Ärzten und anderen Profis fördern.
* Angermeyer MC, Matschinger H. Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol 6: 321-326; DOI: 10.1007/BF00783420
** antistigma-mv.de
Quelle: Schomerus G et al. Bundesgesundheitsbl 2023; 4: 416-422; DOI: 10.1007/s00103-023-03679-3