Brugada-Syndrom: Nicht jedes Typ-1-EKG bietet Anlass zur Sorge
Um die Diagnose Brugada-Syndrom zu stellen, reicht theoretisch ein spontanes Typ-1-EKG mit nach oben konvexer ST-Streckenhebung um mehr als 2 mm in mindestens einer rechtspräkordialen Ableitung in Ruhe aus. Im Shanghai-Diagnosescore gibt es dafür 3,5 Punkte – das ist der Mindestwert, um von einem definitiven oder wahrscheinlichen Brugada-Syndrom zu sprechen. Tritt ein Typ-1-EKG bei Fieber oder erst nach medikamentös induzierter Konversion ausgehend von Typ-2- oder -3-Veränderungen auf, gibt es drei respektive zwei Punkte. Für Eigen- und Familienanamnese sowie genetische Marker werden weitere Punkte vergeben.
„Ein genetisches Resultat für sich allein macht natürlich keine Diagnose“, betonte Professor Dr. Eric Schulze-Bahr, Universität Münster. Das gilt seiner Ansicht nach auch für das spontane oder induzierte Typ-1-EKG, wenn es als isolierter Befund daherkommt. Vom Syndrom spricht er erst, wenn typische Symptome dazukommen, eine positive Familienanamnese und/oder der passende Genotyp. „Ich finde das wichtig, um Patienten mit isoliertem Typ-1-Brugada-EKG nicht unnötig krank zu machen oder zu beunruhigen“, so der Kardiologe.
Mehr als 85 % der Fälle durch SCN5A-Genmutation
Außerdem gibt es Phänokopien, die auf den ersten Blick aussehen wie ein Typ-1-EKG, aber bei genauem Hinsehen dann doch keines sind. Prof. Schulze-Bahr zeigte beispielhaft ein EKG, auf dem zusätzlich zur ST-Hebung negative P-Wellen in V1/2, eine Q-Zacke in V1–3 und eine S-Zacke in V5/6 zu sehen waren. Ursache der EKG-Veränderungen war eine ausgeprägte Trichterbrust.
Auf genetischer Ebene machen Mutationen im SCN5A-Gen mehr als 85 % der Brugada-Fälle aus, den Rest teilt sich ein bunter Strauß anderer Genmutationen, deren Relevanz umstritten ist. „Für die allermeisten Gene gibt es nur eine eingeschränkte Evidenz, dass sie kausal mit dem Brugada-Syndrom in Zusammenhang stehen“, sagte Prof. Schulze-Bahr. Lediglich SCN5A erfüllt die wissenschaftlichen Kriterien für Kausalität, der entsprechende Gentest wird deshalb in der Leitlinie der American Heart Association empfohlen.
Klinisch relevant ist natürlich die Risikostratifizierung. In einer vor wenigen Jahren veröffentlichten Studie hatten die Autoren einen Risikoscore aus sechs einfachen Items an 400 Patienten erprobt, 60 % von ihnen waren asymptomatisch. Für das spontane Typ-1-EKG und eine positive Familienanamnese für frühen plötzlichen Herztod gab es je einen Punkt, für induzierbare ventrikuläre Arrhythmien und Synkope (mit spontanem Typ-1-EKG) je zwei und für Sinusknotenerkrankung sowie bei Reanimation bei plötzlichem Herztod in der Anamnese je drei Punkte. Je mehr Punkte, desto höher das Risiko für klinische Komplikationen während des achtjährigen Follow-ups.
Vom Diagnosescore zum Risikoscore
Eine weitere Studie benutzte als Risikoindikator einfach den Shanghai-Score. Auch hier korrelierte der klinische Verlauf mit der Punktzahl. „Ob es sinnvoll ist, einen Diagnosescore zum Risikoscore zu machen, lässt sich diskutieren“, meinte Prof. Schulze-Bahr. Aus dem EKG kann man Marker der elektrischen Instabilität herauslesen. S-Zacken in Ableitung 1 und fragmentierte QRS-Komplexe sind z.B. assoziiert mit Synkopen, Kammerflimmern und Erregungsleitungsstörungen.
Asymptomatische Patienten klinisch beobachten
Als weitere Marker werden genetische Scores und Autoantikörper gegen Proteine aus Kardiomyozyten (α-Actin, Keratin und Connexin 43) diskutiert.
Asymptomatische Brugada-Patienten sollten gemäß der Leitlinie keine weitere Therapie erhalten und nur klinisch beobachtet werden. Symptomatische Patienten mit spontanem Typ-1-EKG versorgt man mit einem ICD. Liegen weitere Arrhythmien vor, empfiehlt sich die Katheterablation, sofern sich Trigger im rechtsventrikulären Ausflusstrakt ausmachen lassen, oder eine Therapie mit Chinidin.
Kongressbericht: 86. Jahrestagung und Herztage 2020 der DGK*
* Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung; Online-Veranstaltung