Reizdarm und Dyspepsie Darm-Hirnachse gestört

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Eine gestörte Kommunikation zwischen Darm und Gehirn kann die Lebensqualität ebenso stark beeinträchtigen wie chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Diabetes und COPD. Eine gestörte Kommunikation zwischen Darm und Gehirn kann die Lebensqualität ebenso stark beeinträchtigen wie chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Diabetes und COPD. © designua - stock.adobe.com

Eine gestörte Kommunikation zwischen Darm und Gehirn kann die Lebensqualität ebenso stark beeinträchtigen wie chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Diabetes und COPD. Überraschende Erkenntnisse zur Pathophysiologie ermöglichen neue Therapieansätze. 

Weitverbreitete Erkrankungen wie Reizdarmsyndrom (RDS) und funktionelle Dyspepsie (FD) sind bekannte Beispiele für die Folgen einer beeinträchtigten Interaktion zwischen Cerebrum und Intestinum. Als typisch für beide Diagnosen gelten postprandiale und mahlzeitenassoziierte Symptome. Patienten mit FD klagen über vorzeitige Sättigung, Völlegefühl und Blähungen. Beim RDS finden sich vermehrt funktionelle Obstipation und Diarrhö. 

Ursache ist vermutlich eine Störung der Darm-Gehirnachse, so das Autorenteam um Prof. Dr. Alexander Ford vom Gastroenterology Institute der St. James’s University in Leeds. Diese führt dazu, dass eine akute enterale Infektion die Toleranz für zuvor gut vertragene Nahrungsmittel aufhebt. Dadurch kommt es zu einer pathologischen Wechselwirkung zwischen dem intestinalen Mikrobiom bzw. dem Allergen und dem körpereigenen Abwehrsystem, wie Studien nahelegen. Die Folge ist eine lokal begrenzte Immunreaktion mit Aktivierung eosinophiler Granulozyten und Mastzellen. Außerdem werden Entzündungsmarker wie Histamin und Zytokine freigesetzt. Diese verursachen wahrscheinlich diverse systemische Effekte einschließlich der Triggerung nozizeptiver Nervenfasern. Klassische IgE-vermittelte Allergien finden sich bei Störungen der Darm-Hirn-Achse allerdings nur selten. Stattdessen treten vermehrt atypische, evtl auch IgG-vermittelte Reaktionen auf, z.B. gegen Gluten, Soja oder Milch

Auch eine vornehmlich streptokokkenbedingte duodenale Dysbiose wird bei Reizdarm und funktioneller Dyspepsie vermehrt beobachtet. Der Schweregrad der Symptome steigt mit dem Ausmaß der bakteriellen Belastung. Bekannt ist, dass diese Bakterien Weizenproteine verdauen und so die mukosale Allergenpräsentation fördern können. 

Zur Therapie wird unter anderem eine Low-FODMAP-Diät empfohlen. Deren Wirkung lässt sich auf den niedrigen Gehalt an fermentierbaren Oligosacchariden, Disacchariden, Monosacchariden und Polyolen zurückführen. Manchen Patienten mit funktioneller Dyspepsie oder Colon irritabile nützt die Elimination von Nahrungsmitteln, die eine IgG-vermittelte Reaktion auslösen können. Der Verzicht auf Salicylate, die z.B. in pflanzlichen Lebensmitteln (Obst, Gemüse) enthalten sind, könnte Fallserien zufolge ebenfalls wirken. Mangels Studien noch unklar ist, ob eine reduzierte Aufnahme biogener Amine (Fisch, Garnelen, Käse etc.) bei Patienten mit gestörter Darm-Hirn-Interaktion wirkt.

Pharmaka wie Protonenpumpenhemmer, Antihistaminika, Mastzellstabilisatoren und tri- bzw. tetrazyklische Antidepressiva werden ebenfalls zur Therapie bei funktioneller Dyspepsie und Reizdarm eingesetzt. Alle diese Therapeutika interagieren mit einem oder mehreren der geschilderten Pathomechanismen

Prof. Ford und Kollegen halten es aber für unwahrscheinlich, dass Nahrungsmittelallergene, die die intestinale Immunantwort aktivieren, tatsächlich die Hauptursache für die Magendarmbeschwerden sind. Möglicherweise dominieren andere Einflussfaktoren wie die intestinale Fermentation von Kohlenhydraten, die via Freisetzung von Darmgas die Reflexantwort beeinflussen. Auch unerwünschte Wirkungen von Nahrungsmittelzusatzstoffen wie Salicylaten könnten eine wichtige Rolle spielen. 

Das Konzept, wonach die postprandialen Symptome von Reizdarm und funktioneller Dyspepsie durch Nahrungsmittelantigene ausgelöst werden, die das gastrointestinale Immunsystem aktivieren, würde einen Paradigmenwechsel bedeuten, so die britischen Magen-Darmspezialisten. Denn die damit verbundenen neuen therapeutischen Möglichkeiten könnten die Erfolgsrate bei der Behandlung dieser oft schwer beeinflussbaren Erkrankungen beträchtlich erhöhen.

Quelle: Ford AC et al. Gut 2024; DOI: 10.1136/gutjnl-2023.331833