Senfgas Das geht richtig unter die Haut
Noch immer kommt Senfgas, auch bekannt als S-Lost, in kriegerischen Auseinandersetzungen oder bei Terrorangriffen zum Einsatz. Auch bei der Vernichtung des Kampfstoffes passieren immer wieder Unfälle. Zudem wurde mehrfach über die unbeabsichtigte Senfgasexposition in der chemischen Produktion berichtet.
Die Schädigungsmechanismen von S-Lost sind komplex und bis heute nicht vollständig verstanden, schreiben Dr. Simone Rothmiller, Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr in München, und Kollegen. Zentral dürfte die Alkylierung der DNA durch die hochreaktive Substanz sein.
S-Lost schädigt jedes Gewebe, mit dem es in Kontakt kommt. Bei lokaler Exposition treten akute Augen- und Hautverletzungen auf, nach Einatmen ist die Lunge betroffen. Inhalation und hohe dermale Exposition führen wahrscheinlich zur systemischen Aufnahme und zur Schädigung innerer Organe und Gewebe, insbesondere des Knochenmarks.
Ein Blick auf die Stammzelle
Die mesenchymalen Stammzellen, denen bei der Wundheilung der Haut eine essenzielle Rolle zukommt, lassen sich in ganz bestimmten Nischen finden, etwa im Knochenmark. Sie wandern über den Blutstrom in das verletzte Gewebe ein, wo sie andere Zellen stimulieren oder selbst differenzieren, beschreiben Dr. Rothmiller und Kollegen.
Diese Migration wird bei einer S-Lost-Exposition womöglich verhindert, sodass die Heilung ausbleibt. Zudem verlieren die Stammzellen unter dem Einfluss des Kampfstoffs vermutlich ihre Teilungsfähigkeit und altern vorzeitig. Dieses als Seneszenz bezeichnete Phänomen dürfte zu den Wundheilungsstörungen beitragen.
Typische Blasen mit gelblicher Flüssigkeit
Bei Hautkontakt kommt es mit einer Latenz von bis zu 24 Stunden zu Rötungen, Juckreiz und Schmerzen. Es bilden sich kleine Bläschen, die mit der Zeit ulzerieren und zu den großen, typischerweise dünnwandigen und mit gelblicher Flüssigkeit gefüllten S-Lost-Blasen konfluieren. Vor allem bei starker Exposition und im feuchtwarmen Milieu etwa der Achselhöhlen oder des Genitalbereichs sind die Läsionen besonders ausgeprägt, ebenso an mechanisch belasteten Körperstellen, etwa durch das Tragen eines Rucksacks. Die Nikolsky-Zeichen I und II sind positiv.
Oft rupturieren die Bullae, dann entstehen die gefürchteten, tiefen Ulzerationen und die schwer heilenden Wunden. Häufig fallen in den betroffenen Arealen Pigmentveränderungen auf. Es kommt zu sensiblen Störungen, persistierendem Juckreiz, Hauttrockenheit sowie zu Gefäßmalformationen wie Teleangiektasien oder Hämangiomen. Bis heute steht keine zielgerichtete Therapie zur Verfügung, sodass die Hautwunden ähnlich wie schwere Verbrennungsverletzungen behandelt werden müssen. Oft bleibt nur die Exzision der geschädigten Haut und eine Deckung des Defekts mit Spalthaut.
Quelle: Rothmiller S et al. Wehrmedizinische Monatsschrift 2023; 67: 297-303; DOI: 10.4870/opus4-167 © Beta Verlag & Marketinggesellschaft mbH, Bonn